[The Story Behind] Von Reh zu Hirsch

Liebste Bücherwürmer!

Ich bin ein Mensch, dessen Kindheit von Trickfilmen der besonderen Art geprägt war. Ich wuchs auf mit dem Wissen, an jedem Weihnachtsfest einen weiteren Film über kleine und große Helden, mit viel Gesang und einer guten Prise Herzschmerz dem stetig wachsenden Repertoire heimischer Videokassetten hinzufügen zu können. Die Rede ist – selbstverständlich – von Disney.

Auch heute schaue ich mir die liebgewonnenen Geschichten gerne immer und immer wieder an, singe aus vollem Hals mit und weine um die Verlorenen. Doch mich interessieren nun die Geschichten, die dahinterstecken. Welches Buch war ausschlaggebend für welchen Film? Und wie wurde die Geschichte umgesetzt? Dem möchte ich in dieser Beitragsreihe nachgehen. Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen, suchen wir gemeinsam The Story Behind.

Bambi

Der stolze Hirsch – oder doch ein Rehbock?

Bambi, die Geschichte um das Rehkitz mit den großen Kulleraugen und den langen staksigen Beinen, kam 1942 erstmals auf die große Kinoleinwand und ist somit der  5. abendfüllende Zeichentrickfilm aus dem Hause Disney.

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Bambi ©Disney

Ein neuer Morgen im Wald dämmert herauf und die frohe Kunde des neugeborenen Rehkitz verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Ob Rebhuhn oder Hase, alle wollen sie das Neugeborene in Augenschein nehmen. Von diesem Augenblick an begleitet man Bambi auf seinem langen Weg vom Kitz zum Hirsch. Moment, ein Hirsch?

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Wenn man nichts Nettes zu sagen hat, soll man den Mund halten.

(Bambi)

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Walt Disney sorgte mit seiner Verfilmung von Bambi wohl für den weitverbreitetsten Irrtum in der Geschichte der Flora und Fauna. Denn während der ursprüngliche Bambi ein Reh ist, ließ er ihn in seiner Adaption als Weißwedelhirsch darstellen, da es in Amerika keine Rehe gibt. Die Verwirrung ist perfekt, als der Film zusätzlich mit dem Slogan „Vom scheuen Reh zum stolzen Hirsch“ beworben wird. Kein Wunder also, dass ich lange Zeit ebenfalls dachte, dass Bambi ein Kind von Reh und Hirsch ist.

Wenn Bambi schließlich seine Mutter bei einer wilden Treibjagd durch den Wald verliert, bleibt wahrscheinlich kaum ein Auge trocken. Immer wieder findet man in Disneyfilmen dieses Symbol der verloren gegangenen Eltern, der  plötzlichen Abkapslung von Jung und Alt. Doch welches Schicksal sah Felix Salten, der Autor dieser Waldgeschichte, für Bambi und seine Mutter vor?

Eine Lebensgeschichte aus dem Walde

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Der Wald besteht nicht nur aus fröhlich herumfliegenden Vögeln, aus niedlichen Tierkindern und aus eitel Sonnenschein. 1929 schrieb Felix Salten Bambi – Eine Lebensgeschichte aus dem Walde mit dem Wissen, dass es auch dramatisch zugehen muss, wenn man von heimischen Tieren berichtet. Die Winternacht, in der Bambi seine Mutter durch einen Jäger verliert, ist in Buch und Film wohl eine der ergreifendsten.

Doch das Buch bereitet den Leser merklich auf den Abschied vor, denn im Gegensatz zu Disney, verlässt die Mutter Bambi nach einer Weile immer öfter für viele Stunden, in denen er bereits lernen muss, auf sich selbst acht zu geben. Auch hier wacht der vermeintliche Vater – ein stolzer Rehbock und der Fürst des Waldes – über ihn von Weitem.

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Hier stand er nun, schwankte bedenklich auf seinen dünnen Beinen, blickte mit trüben Augen, die nichts sahen, blöd vor sich hin, ließ den Kopf hängen, zitterte sehr und war noch ganz betäubt.

(Bambi | S. 7)

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Den herzallerliebsten Sidekick und besten Freund, den Hasen Klopfer, gibt es in der Buchvorlage so nicht, dafür sind Faline und Gobo lange Zeit sehr präsent. Faline, das weibliche Kitz, ist sicher den meisten bekannt, doch ihr Bruder namens Gobo wurde aus dem Film gestrichen. Gobo ist eher schwach, kränklich und wird bei der großen Jagd schließlich zurückgelassen. Doch anders als zunächst angenommen, kehrt er später zurück und berichtet von seinem Leben bei dem gefürchteten Jäger, der ihm die notwendige Scheu vor Menschen nahm und somit sein Schicksal endgültig besiegelte.

Je weiter man im Buch voran schreitet, umso mehr entfernt sich der Film von ihm. Wird bei Disney der Zusammenhalt groß geschrieben, entfremdet sich Bambi immer weiter von Faline, sucht die Einsamkeit und wird so immer mehr zum Eigenbrötler, zum neuen Fürst des Waldes.

Aufpolierte Adaption

Im direkten Vergleich fallen natürlich viele Unterschiede auf, doch hier und da findet man ebenfalls kleine Hinweise auf Felix Saltens Original. Wenn der Herbst vergangen ist und der Winter Einzug hält, werden zwei einsame Blätter an einem Baum eingeblendet. An sich schon Symbol genug, doch Felix Salten schrieb hierzu eine kurze Geschichte, ein Gespräch der beiden Blätter, die sich aneinander festhielten, um dem Winter zu trotzen. Auch ist Klopfer nicht allzu weit entfernt der Vorlage, existiert doch immerhin Freund Hase nebst Familie im Wald von Bambi. So gehen die beiden Geschichten über weite Strecken Hand in Hand und trennen sich erst recht spät in Einsamkeit gegen Zweisamkeit.

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Disneys abendfüllende Zeichentrickfilme im direkten Vergleich zu ihren literarischen Vorlagen:
The Story behind.

Mehr Beiträge zu dieser Reihe gibt es hier:
Cap & Capper: Fuchs und Hund – Freunde oder Feinde?
101 Dalmatiner: Wertvoll gepunktet
Dumbo: Ich hab viel gesehen auf dieser Welt, …!
Bambi: Von Reh zu Hirsch
Aladdin: Der ungeschliffene Diamant
Arielle: Unter dem Meer
Robin Hood: Im wilden Sherwood Forest
Das Dschungelbuch: Dschungelgeschichten

39 Comments on “[The Story Behind] Von Reh zu Hirsch

  1. Liebste Gabriela!
    Ach, Bambi fand ich schon immer richtig, richtig traurig! Aber es ist schon ewig her, seit ich den Film das letzte Mal gesehen habe. Ich glaube, ich sollte mir das Original zulegen. Danke dir für den Tipp! ❤

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  2. Als Kind mochte ich den Film bis ich das Buch gelesen habe. Ich fand es schon damals um Längen besser. Der Film ist putzig, aber das Buch transportierte für mich irgendwie Freiheit und Naturliebe.
    Grüße, Katharina

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    • Ja das stimmt, das Buch geht natürlich noch viel mehr auf die Naturaspekte ein, als der Trickfilm. Auch, wie sich beide Bambis mit der Zeit entwickeln fand ich sehr interessant, Saltens Variante ist natürlich viel naturgetreuer.

      Liebe Grüße!
      Gabriela

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  3. Huhu 🙂
    Das ist wieder ein sehr interessanter Beitrag 🙂 Bambi hab ich genau einmal gesehen und da musste ich so heulen, dass ich ihn danach nie wieder sehen wollte 😀
    Die Buchvorlage ist da anscheinend sehr viel mehr an der Natur und definitiv mal einen genaueren Blick wert.
    Liebe Grüße
    Kat

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    • Huhu Kat!
      Ohweh, wie schade! Aber ich find Bambi auch sehr traurig, deshalb kann ich das durchaus nachvollziehen 🙂 die Buchvorlage ist jedenfalls definitiv lesenswert!

      Liebe Grüße!
      Gabriela

      PS: Beim nächsten Mal wirds weniger traurig, versprochen. 🙂

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  4. Ich habe Bambi als Kind auch sehr traurig gefunden! Ich muss mir aber unbedingt mal das Buch noch kaufen, ich habe letztens Peter Pan gelesen und war auch erstaunt darüber, wie viel im Film dann geändert wurde!

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