[The Story Behind] Auf ins Nimmerland!

Liebste Bücherwürmer!

Ich bin ein Mensch, dessen Kindheit von Trickfilmen der besonderen Art geprägt war. Ich wuchs auf mit dem Wissen, an jedem Weihnachtsfest einen weiteren Film über kleine und große Helden, mit viel Gesang und einer guten Prise Herzschmerz dem stetig wachsenden Repertoire heimischer Videokassetten hinzufügen zu können. Die Rede ist – selbstverständlich – von Disney.

Auch heute schaue ich mir die liebgewonnenen Geschichten gerne immer und immer wieder an, singe aus vollem Hals mit und weine um die Verlorenen. Doch mich interessieren nun die Geschichten, die dahinterstecken. Welches Buch war ausschlaggebend für welchen Film? Und wie wurde die Geschichte umgesetzt? Dem möchte ich in dieser Beitragsreihe nachgehen. Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen, suchen wir gemeinsam The Story Behind.

Peter Pan

Der Traum von ewiger Jugend

Schon 1935 versuchte Disney an die Rechte des Bühnenschauspiels Peter Pan zu gelangen, doch der Film, wie wir ihn heute kennen, erblickte erst 1953 das Licht der Kinoleinwand und ist somit der 14. abendfüllende Zeichentrickfilm aus dem Hause Disney.

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Peter Pan ©Disney

Die Geschwister Wendy, Klaus und Michael Darling träumen den Traum aller Kinder: Niemals erwachsen zu werden. Sie erleben Abenteuer in ihren Köpfen, kämpfen gegen Piraten und Indianer, und schauen den Meermädchen beim Schwimmen zu. Als Peter Pan eines Nachts mit der Sternenfee Naseweis auf der Suche nach seinem Schatten in ihr Schlafzimmer purzelt, beginnt für sie jedoch das größte Abenteuer ihres jungen Lebens! Denn Peter lädt sie ein mitzukommen ins Nimmerland, eine Insel, die nur denen erscheint, die fest an sie glauben.

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Erwachsen werden ist so eine barbarische Angelegenheit. Voller Unannehmlichkeiten.

(Peter Pan | Disney) anführung_oben

Während Klaus und Michael Zuwachs für die Verlorenen Jungs bedeuten, steht Wendy eine ganz andere Rolle bevor: Sie soll die Mutter spielen, die sich die verlorenen Kinder wünschen. Wendy willigt ein, und nachdem Peter Pan den Kindern gezeigt hat, wie man fliegt, geht die große Reise auch schon los. Doch im Nimmerland ist es nicht immer so heiter wie sich die Kinder das in ihren Träumen vorgestellt haben. Denn auch Käpt’n Hook und seine Piratenbande trachten Peter nach dem Leben. Und so wird aus Spaß bald Ernst, auch wenn in der Disneyversion niemals die Sonne ganz hinter den Wolken verschwindet. Aber wie ist das Nimmerland denn ursprünglich gewesen?

Ein Lieblingsbuch

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Neben Alice im Wunderland zählt Peter Pan von James M. Barrie für mich zu den liebsten Geschichten Disneys. Und in der geschriebenen Version läuft der Junge, der niemals erwachsen wurde, mittlerweile Alice den Rang sogar ganz ab, zu sehr liebe ich den Ton, den Barrie hier anschlägt.

Weitaus düsterer als angenommen

Dabei ist dieses Kinderbuch weitaus weniger freundlich, als viele annehmen. Peter Pan als Figur ewiger Jugend ist alles andere als ein Ausbund an Freundlichkeit. Ja, er ist launisch, egoistisch, selbstverliebt und immer zu einem derben Spaß aufgelegt. Außerdem greift er zu drastischen Mitteln, um sich seine Verlorenen Jungs nach Maß zu machen. Denn wenn die Kinder, die aus den Wiegen fielen und so ins Nimmerland kamen, zu groß für Peter werden, dann dünnt er sie kurzerhand aus. Auch gibt es für jeden Jungen einen eigenen Eingang in die unterirdische Behausung, der in die umstehenden Bäume geschnitten wird. Hat der Baum jedoch eine unglückliche Form, wird Peter dich in diese Form bringen, anstatt dir einen anderen Baum zu suchen.

Peter braucht das Gefühl, bewundert zu werden, wie andere Essen und Trinken brauchen. So manches Abenteuer bestreitet er nur aus eben diesem Grund, denn obwohl dieser Junge alle anderen Kinder auf der Insel beherrscht, ist er doch der kleinste und jüngste von ihnen. Denn anders als Disney und diverse Bühnenproduktionen ihn als Teenager zeigen, hat er noch alle seine Milchzähne. Was bedeutet, er kann im Grunde nicht älter als vier bis sieben Jahre alt sein. Und auch Peter Pan sehnt sich insgeheim nach der zärtlichen Mütterlichkeit, die für ihn für immer verloren ist. Denn in mancher Nacht wird Wendy aufwachen und ihn trösten müssen, wenn er im Schlaf geschrien und geweint hat.

Die Rolle der Mutter

Auch die anderen Figuren des Nimmerlands haben es faustdick hinter den Ohren. Die kleine garstige – und gar nicht so sehr schlanke – Tinker Bell zum Beispiel. Sie ist dafür verantwortlich, dass die verlorenen Jungs Wendy bei ihrem Flug über Nimmerland beinahe tatsächlich töten. Denn anders als bei Disney trifft Tootles Pfeil Wendy mitten ins Herz. Doch sie hat Glück, ein Kuss in Form eines Fingerhuts, den Peter ihr geschenkt hat, und den sie seit Beginn des Abenteuers an einer Kette um den Hals trägt, rettet sie vor dem sicheren Tod. Trotzdem sinkt sie in eine tiefe Ohnmacht, und Peter und die Jungs bauen ein eigenes Häuschen an der Erdoberfläche um ihren ohnmächtigen Körper.

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Alle außer Tootles verschwanden in ihren Bäumen. Er hatte Pfeil und Bogen schon bei sich. Tink sah das und rieb sich die kleinen Hände.
„Schnell, Tootles, schnell!“, schrie sie. „Peter wird das bestimmt sehr gefallen.“
Tootles spannte aufgeregt den Bogen. „Aus dem Weg, Tink!“, rief er.
Er schoss und Wendy flatterte mit einem Pfeil in der Brust zu Boden.

(S.92)anführung_oben

Während Wendy im Disneyfilm an den Abenteuern ihrer Brüder Klaus (der eigentlich John heißt) und Michael teilnimmt, bleibt sie im Buch mehr der Rolle der aufopferungsvollen Mutter treu. Denn sie hat den lieben langen Tag damit zu tun, sich um Heim und Herd zu kümmern, für die Kinder sauber zu machen und vor allem ihre Sachen zu stopfen. Ob sie wusste, worauf sie sich einließ, als sie einwilligte, die Mutter der Kinderbande zu sein? Zumindest schreibt Barrie ihr Gefallen an der ganzen Angelegenheit zu, denn auch nach diesem Besuch im Nimmerland wird sie immer wieder ins Nimmerland fliegen, um … ja, um den Frührjahrsputz zu erledigen. Und während für die disneyschen Geschwister Darling das Abenteuer nur eine einzige Nacht umfasst, bleiben sie im Original doch über mehrere Monate fort von Zuhause und bringen große Trauer über ihre Eltern.

Lost Boys

James M. Barrie gelangte auf sehr reellem Weg zu seiner fantastischen Geschichte. 1897 lernte Barrie bei einem seiner Spaziergänge durch Kensington Gardens die Brüder Llewelyn Davies kennen. Er freundete sich mit dem damals fünfjährigen George an und dessen jüngeren Brüdern Peter, Nico und Michael. Nur Jack, der zweitälteste hielt Abstand zu diesem fremden Mann. Und während der im Herzen kindgebliebene Barrie mit den Kindern ausgedachte Abenteuer erlebte und nichts lieber mochte, als mit ihnen Piraten zu jagen, wuchs in seinem Kopf die Figur des Peter Pans und seiner lost boys heran. Verloren, da deren Eltern an Krebs verstarben und Barrie die Vormundschaft für die fünf Jungen übernahm. Nur Peter Llewelyn litt zeit seines Lebens unter der Namensdopplung. Denn auch wenn er niemals so frei und eigensinnig war wie Peter Pan, wurde er doch immer mit ihm verglichen. Und so hieß es, als er sich 1960 vor eine U-Bahn in London warf, später in den Zeitungen: „Peter Pan begeht Selbstmord“.

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Peter war nicht wie die anderen Jungen, aber schließlich hatte er doch Angst. Ein Schauder überkam ihn, so wie der Wind das Meer erschaudern lässt. Im nächsten Augenblick stand er wieder aufrecht mit diesem Lächeln auf dem Gesicht, und in ihm dröhnte eine Trommel, die sagte: „Sterben ist bestimmt ein großes Abenteuer.“

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Nicht nur die Originalgeschichte findet immer wieder in neuen Auflagen ihren Weg in unsere Bücherregale. Viele Autoren haben sich bereits an dem Stoff versucht und Adaptionen geschaffen, die sich mit Aspekten des Buches auseinandersetzen.

Brom hat mit Der Kinderdieb eine fantastische Adaption geschaffen, die den Leitmotiven des Originals folgt und doch mehr und mehr glaubhaften Hintergrund addiert und somit der Figur Peters zu noch mehr Tiefe verhilft.

Christina Henrys Lost Boy beleuchtet die Anfänge der Verlorenen Jungs und kehrt eine ganz besondere Beziehung hervor.

Und weil Ida noch immer von dieser Geschichte schwärmt, und ich sie demnächst auch bei mir einziehen lassen möchte, hier also der Hinweis auf Tiger Lily von Jody Lynn Anderson.

Und wer noch immer nicht genug von Peter und seinen Abenteuern hat, der sollte sich unbedingt einmal „Wenn Träume fliegen lernen“ anschauen – ein unglaublich berührender Film über James M. Barrie und seinen Weg ins Nimmerland. ♥

schnörkel


Disneys abendfüllende Zeichentrickfilme im direkten Vergleich zu ihren literarischen Vorlagen:
The Story behind.

Mehr Beiträge zu dieser Reihe gibt es hier:
Cap & Capper: Fuchs und Hund – Freunde oder Feinde?
101 Dalmatiner: Wertvoll gepunktet
Dumbo: Ich hab viel gesehen auf dieser Welt, …!
Bambi: Von Reh zu Hirsch
Aladdin: Der ungeschliffene Diamant
Arielle: Unter dem Meer
Robin Hood: Im wilden Sherwood Forest
Das Dschungelbuch: Dschungelgeschichten
Bernhard und Bianca: R-E-T-T-U-N-G
Schneewittchen: Spieglein, Spieglein, an der Wand
Die Eiskönigin: Völlig unverfroren adaptiert
Mulan: Vom Kampf der Geschlechter

 

 

 

 

 

 

27 Comments on “[The Story Behind] Auf ins Nimmerland!

  1. Auf Peter Pan habe ich ja gewartet. 😉 Die Geschichte hat bei mir Alice zwar nicht abgelöst, kommt aber ganz nah dahinter. Das sind einfach so Klasdiker, dass sie Generationen an Schriftstellern berinflussen.

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    • Dann hab ich doch genau die richtige Geschichte ausgewählt für den März =) Und es ist doch immer wieder erstaunlich, wie oft Alice oder Peter Pan zum Beispiel in anderen Geschichten einfach nur erwähnt werden, oder? Das schafft heute nur noch Harry Potter.

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      • Auch in Liedern und Filmen (die das gar nicht zum Thema haben). Das hat Harry noch nicht geschafft, aber gib ihm noch 10Jahre.😉

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  2. Liebste Gabriela,

    ich liebe, liebe, liebe Peter Pan! Die Ausgabe im MinaLima Design habe ich auch zu Hause und kann mich daran gar nicht sattsehen. Dein heutiger Disney-Beitrag spricht mir aus der Seele und ich kann dir bezüglich des Films nur zustimmen – Unbedingt anschauen, wenn einen die Entstehungsgeschichte interessiert.

    Falls du auch gerne mal passende Musik hörst – der Soundtrack zum Broadwaystück „Finding Neverland“ handelt auch von Barries berührender Geschichte. Bei mir laufen immer ein paar Tränchen wenn die CD läuft.

    „Der Kinderdieb“ von Brom hat mir auch sehr gut gefallen, bei den anderen beiden Adaptionen warte ich noch auf die deutsche Übersetzung 🙂

    Ich wünsche Dir einen tollen Dienstag!

    Herzliche Grüße
    Bella

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    • Meine liebste Bella! ♥
      Peter Pan ist und bleibt einfach nur großartig ♥ Die MinaLima Ausgaben sind immer ein großer Hingucker, und bei Peter Pan geht es mir erst recht wie dir – ich kann es gar nicht oft genug durchblättern, an den Rädchen drehen und hier und da Sachen aufklappen. 😀

      Den Soundtrack muss ich mir unbedingt mal näher anschauen, ich liebe ja Soundtracks – und wenn sie dann noch zu Peter Pan gehören =)

      Komm gut durch den verregneten Dienstag! (Und nur noch 7 Tage, bis ich dich endlich wieder drücken kann ♥)

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  3. Hallo Gabriela!
    Diese Ausgabe von Peter Pan steht natürlich auch in meinem Regal, leider noch ungelesen, weil ich mir für die Bücher vom Coppenrath Verlag immer Zeit nehmen möchte und sie ungerne unterwegs lese. Wegen den vielen Details auch.
    Aber ich hatte schon öfter gehört, das Peter eigentlich nicht der nette Kerl ist, der er im Disney Film ist. Sondern sehr egoistisch.
    Dein Beitrag ist wie immer toll und ich habe mir auch direkt mal den Film Wenn Träume fliegen lernen aufgeschrieben. 🙂
    Sehr mochte ich ja auch die Verfilmung mit Robin Williams Hook.
    Liebe Grüße
    Diana

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    • Huhu Diana!
      Oh ja dqs versteh ich total, die Bücher sind viel zu schade, um sie unterwegs mitzuschleppen. Aber wenn du dann die Zeit hast, hoffe ich du genießt deinen Aufenthalt auf Nimmerland!
      Peter ist auch bei Disney kein Waisenknabe, das merkt man, wenn man ihn ein wenig genauer beobachtet. Aber ja, im Original ist er weitaus ausgeprägter – zwischen den Zeilen.

      Alles Liebe!
      Gabriela

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  4. Ahoi Gabriela,

    danke für diesen -wieder mal- wunderbaren Artikel 🙂
    Ich muss ja zugeben, dass mir die Geschichte von Peter Pan gar nicht gefiel… und auch der Film war für mich nur unwesentlich besser :/ Peter war mir einfach total unsympathisch und diese Muttergeschichte ging mir irgendwie auch gegen den Strich… aber die Lost Boys Adaption möchte ich unbedingt lesen, sowie einige englischsprachige, die die Schiff-/Piratenstory hervorheben 😀

    Alles Gute für dich & deine Liebsten
    Ronja von oceanloveR

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    • Liebe Ronja!
      Ach wie schade, dabei find ich Peter gerade aufgrund seiner mitunter antiheldenhaften Attitüde sehr unterhaltsam 😀
      Ich habe zuletzt Tiger Lily als Adaption gelesen, das ist schon jetzt ein absolutes Herzensbuch für mich geworden. Vllt ist es ja ebenfalls was für dich?

      Liebste Grüße und auch dir und deinen Liebsten allee Gute! ❤️
      Gabriela

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