Wenn aus Büchern Schätze werden.
Die Weihnachtszeit lockt nicht nur mit gemütlichem Lichterglanz, köstlichen Plätzchen und stimmungsvoller Musik, nein, für mich ist die Vorweihnachtszeit auch gleichbedeutend mit ausgiebigem Schwelgen in Märchen. Im Advent stelle ich euch jeden Sonntag ein Märchen aus einem anderen Land vor. Denn es gibt noch so viel mehr zu entdecken, als nur Hänsel und Gretel, Schneewittchen oder Dornröschen, mit denen wir aufgewachsen sind. ♥
Im letzten Jahr habe ich euch bereits auf diese Reise mitgenommen, wir haben gemeinsam Märchen von der Orchideeninsel kennengelernt, und in die Kälte Alaskas begeben, haben einen magischen Pinsel in China gefunden und haben uns gemeinsam mit dem Fuchs über die Dummheit des Wolfes im Orient amüsiert. Dieses Jahr startete unsere Reise in Polen, einem Land mit dem ich vorher gar nicht so viele Märchen verbunden habe. Danach entführte ich euch nach Norwegen, in ein fliegendes, goldenes Schloss. Am dritten Advent ging es dann nach Indonesien, zu einer traurigen Prinzessin. Und heute? Lernen wir Wassilissa die Weise kennen.
Es war einmal … hinter dreimal neun Ländern, im dreimal zehnten Reich, da lebten ein Zar und eine Zarin. Der Zar begab sich auf eine längere Reise, an derem Ende er großen Durst erlitt. Endlich fand er einen großen See, beugte sich hinab und trank begierig. Da schoss jedoch der Seekönig aus den Tiefen empor und hielt den Zaren beim Barte. Nur gegen das Versprechen, ihm das aus seinem Schloss zu überlassen, was er selbst noch nicht gesehen habe, ließ er den Zaren gehen.
Wieder daheim, kam ihm die Zarin freudig entgegen, ihre Kinderlosigkeit hatte endlich ein Ende, sie hatte ihm einen Sohn geschenkt. Doch als sie erfuhr, dass dieser nun an den Seekönig gegeben werden sollte, da weinten sie beide bitterlich.
Iwan Zarewitsch, so hieß der Sohn, wuchs schnell, und voller Gram brachte ihn der Zar zurück an den See des Seekönigs. Er hieß den Jungen nach einem verlorenen Ring zu suchen und machte sich derweil auf und davon. Der Junge weinte bitterlich, doch eine alte Frau gab ihm den Rat, sich hinter einem Strauch zu verstecken und darauf zu warten, dass dreizehn Turteltäubchen erschienen, die sich in schöne Mädchen verwandelten und im See baden würden. Der Jüngsten solle er die Kleider verstecken und sie erst wieder hergeben, wenn sie ihm einen Ring geschenkt habe.
Das ist kein Unglück, ein richtiges Unglück steht dir noch bevor.
Leg dich schlafen, der Morgen ist klüger als der Abend.
(aus Der Seekönig und Wassilissa die Weise)
So geschah es, und Iwan Zarewitsch gelangte voller neuem Mut ins Unterwasserreich des Seekönigs, denn Wassilissa, die dreizehnte Taube, war eine Tochter des Königs. Doch zunächst sollte Iwan dem König drei scheinbar unmögliche Aufgaben lösen. Zuerst sollte er ein Feld bis zum Morgen glätten, und mit Roggen bestellen, der bereits kurz nach der Saat hoch und dicht stünde. Dann sollte er Weizen dreschen, so viel, dass es eigentlich niemals zu schaffen wäre. Außerdem sollte er über Nacht eine Kirche aus Wachs bauen. Bei all diesen Aufgaben half ihm Wassilissa die Weise mit ihren Freunden und Untertanen, so dass der Zarensohn am Ende mit ihr verheiratet wurde.
Doch bald schon begann er, Mutter und Vater zu vermissen. Aber Wassilissa wusste, dass der Seekönig sie beide niemals gehen lassen würde. So griff sie zu einer List, spuckte dreimal in die Ecken ihres Zimmers und verschwand mit Iwan Zarewitsch. Dreimal sprach die Spucke für sie, als Diener des Seekönigs die beiden zum Essen holen wollten, doch als kein Tröpfchen mehr übrig war, da fiel der Schwindel auf und der Seekönig schickte voller Zorn seine Diener hinter den Entflohenen her. Jedes Mal konnte Wassilissa sich und ihren Mann verwandeln, so dass die Diener unverrichteter Dinge zurückkehrten, doch beim letzten Mal kam der Seekönig selbst. In Gestalt eines Adlers versuchte er vergeblich, die beiden zu töten, doch wieder gelang ihnen die Flucht.
Endlich daheim im Zarenreich wollte Iwan Zarewitsch zunächst allein zu seinen Eltern gehen. Wassilissa ahnte, er würde sie vergessen und bat ihn nur, sich an sie zu erinnern, wenn sich zwei Täubchen gegen sein Fenster werfen würden. Es kam, wie sie es vorausgesehen, voller Freude über das Wiedersehen vergaß der Zarensohn seine Braut und wollte nur drei Tage später bereits um die Hand einer anderen Königsrtochter anhalten.
Doch da schickte Wassilissa zwei Täubchen aus Teig an sein Fenster, die sich beharrlich gegen das Glas warfen, worauf er sich endlich seiner schönen Liebsten erinnerte, und sie willkommen hieß im Zarenreich.
… Nun, wenn ihr mich fragt, hat sich Wassilissa die Weise in so vielen Dingen als wirklich weise erwiesen – außer in der Wahl ihres Mannes. NIcht nur, dass sie ihm bei jeder Gelegenheit aus der Patsche helfen musste, auch vergaß er sie prompt, als sie nicht mehr bei ihm war. Und da sagt man immer, die wahre Liebe fände man in einem Märchen.
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