Meine Lieben!
Die Weihnachtszeit lockt nicht nur mit gemütlichem Lichterglanz, köstlichen Plätzchen und stimmungsvoller Musik, nein, für mich ist die Vorweihnachtszeit auch gleichbedeutend mit ausgiebigem Schwelgen in Märchen. Im Advent stelle ich euch wieder jeden Sonntag ein Märchen aus einem anderen Land vor. Denn es gibt noch so viel mehr zu entdecken, als nur Hänsel und Gretel, Schneewittchen oder Dornröschen, mit denen wir aufgewachsen sind. ♥
In diesem Jahr treten wir bereits zum 4. Mal diese Märchenreise gemeinsam an und ich freue mich so, so sehr, dass ich euch nach wie vor Märchen aus Ländern vorstellen kann, die ihr vermutlich noch nicht kennt. Erinnert ihr euch noch an die Jahre zuvor? Wir haben gemeinsam Märchen von der Orchideeninsel kennengelernt, uns in die Kälte Alaskas begeben, haben einen magischen Pinsel in China gefunden und haben uns gemeinsam mit dem Fuchs über die Dummheit des Wolfes im Orient amüsiert. Danach ging es nach Polen, einem Land, mit dem ich vorher gar nicht so viele Märchen verbunden habe. Später entführte ich euch nach Norwegen, in ein fliegendes, goldenes Schloss, und nach Indonesien, zu einer traurigen Prinzessin. Wir hielten in Russland und haben Wassilissa, die Weise kennengelernt.
Im letzten Jahr habe ich euch von einer Leichenbraut, von einem verzauberten Spiegel und einem Teufel auf Brautschau erzählt – und von einem riesenhaften Troll! Was wird uns wohl in diesem Jahr begegnen? Unser erstes Adventsmärchen führt uns nach Tibet.
Die bestrafte Krähe

Märchen werden – genau wie Mythen und Sagen – gern dafür verwendet, um sich die Welt zu erklären. Auch in Tibet hat man mit Hilfe dieser Geschichten versucht, zu verstehen, warum manche Dinge auf der Welt existieren – und andere eben nicht. Was hat es also mit der bestraften Krähe auf sich?
Das Märchen beginnt damit, dass die Menschen unzufrieden waren. Nachdem die Welt entstand, gab es die Jahreszeiten. Blumen blühten, das Getreide wuchs. Doch ach, der Sommer war heiß und der Winter so kalt, und dass man jedes Jahr aufs neue die Felder bestellen muss … Das musste doch auch anders gehen. Also backten sie einen Kuchen und beauftragten eine Krähe, damit zum Himmelsgeist hinauf zu fliegen, um ihm fünf Wünsche im Gegenzug für diesen Kuchen mitzuteilen. Hitze und Kälte wollten sie nicht mehr spüren, auch keine Dürre oder Stürme, die Felder sollten, einmal bestellt, immer wieder von selbst nachwachsen. Auch sollte es weder Armut noch Reichtum geben. Schlicht: Die Menschen wollten es sich auf Erden einfach nur gut gehen lassen.

Die Krähe flog davon und überbrachte dem Himmelsgeist die Wünsche. DIeser fand sie durchaus angemessen und versprach, sie alle zu erfüllen. Jedoch durfte die Krähe die Erfüllung der Wünsche nur den Menschen mitteilen und bis zum Erreichen derjenigen, sollte sie keinen Ton von sich geben. Nun weiß man jedoch, wie gesprächig die Krähen so sind, und auf ihrem Weg zurück, sprach ein Stein sie an. Dieser tat der Krähe so leid, wie er da in Regen und Sonne draußen stehen musste, und so löste sie ihm gegenüber die Erfüllung des Wunsches ein, dass er nie wieder Hitze und Kälte spüren sollte. Auch einem Baum versprach sie etwas. Nämlich, dass er sich über die Welt vermehren solle und immer weiter und weiter wachse. Als die Krähe nun bei den Menschen ankam, da kam sie in arge Bedrängnis, weil sie zwei Wünsche bereits fortgegeben hatte. So sagte sie einfach, dass der Himmelsgeist keinen der Wünsche erfüllen wollte. Doch als dieser davon erfuhr, war er sehr erbost über die Lügen der Krähe. Er verbannte sie ins Ödland, verbat ihr ein Nest im Winter und brachte ihr den Ruf des Unglücksvogels bei den Menschen ein.
Ganz schön gemein, oder? Aber so kam es eben, dass Steine sowohl im Sommer wie im Winter ohne Veränderungen bleiben und unsere Welt von grünen Wäldern bevölkert ist. Und eben, dass wir Menschen weiterhin Jahr für Jahr die Felder neu bestellen müssen, große Hitze und klirrende Kälte scheuen und .. Ja, viele die schwarzen Vögel für Boten des Unglücks oder sogar des Todes halten.

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