Wenn aus Büchern Schätze werden.
Triggerwarnung: Magersucht und Bulimie
Werbung | Autor: Janina Michl | Titel: Bis zum Hals |
Erscheinungsdatum: 2017 | Verlag: Selbstverlag |
292 Seiten | Genre: Roman |
Diesmal ließ ich es zu, dass die Nacht mich packte. Sie durfte. Ich war jetzt bereit für sie. Und in der Dunkelheit wurde ich zum ersten Mal endlich sichtbar.
(S.10)
Paula ist siebzehn Jahre alt, als sie bereits seit zwei Jahren an Magersucht leidet. Nun scheint sich jedoch etwas ändern zu müssen, ihre Familie ist endlich ein wenig aufmerksamer geworden, was Paulas Essensangewohnheiten betrifft. Da hilft nur die Flucht nach vorn. In einem Kreislauf des Essens und Erbrechens findet sich Paula schließlich zwischen einem Kätzchen und einem Monster wieder, die beständig auf sie einreden, die Paula langsam aber sicher den Blick für die Realität verlieren lassen.
Wenn wir Paula kennenlernen, ist sie längst gefangen in der Spirale aus Essensverweigerung, Sporteinheiten, Essensaufnahme und Erbrechen. Das letzte Schuljahr hat begonnen, und der Druck von außen nimmt noch einmal mehr zu. Und dann ist da auch noch Thilo, ein Junge aus ihrer Klasse, zu dem sie sich irgendwie hingezogen fühlt. Wenn da nicht die eigene Unsicherheit wäre. Und das Kätzchen, dass sich nach einer schweren Grippe aus ihrem Inneren befreit hat, und von dem Paula denkt, dass es ihre Seele ist. Dieses Kätzchen spricht mit ihr, wenn sie in Panik gerät. Dieses Kätzchen hat allerdings auch ein Monster in Paula herangezüchtet. Ein Monster, das Paula beständig zuruft, dass es egal ist, ob sie isst oder nicht, sie sterbe sowieso. Und dann kann sie genauso gut auch essen, Berge in sich hineinschlingen, um sie dann hinterher wieder unverdaut hinauszubefördern.
Diese Zwiegespräche bringen Paula mit der Zeit immer mehr an den Rand des Wahnsinns, sie kann kaum noch kontrollieren, was sie denkt und was sie tatsächlich von sich gibt. Auch die Gehässigkeiten einiger Mitschülerinnen, und das zunächst mangelnde Verständnis ihrer besten Freundin Helen, der sie ihre Bulimie endlich gesteht, führen dazu, dass Paula den Strudel in ihrem Inneren hinabgerissen wird.
Dabei versteht es Janina Michl sehr gut, uns in Paulas Lage zu versetzen. Die Sinnbilder des Kätzchens und des Monsters helfen auch uns Lesern zu begreifen, in welchem Widerspruch die eigenen Gedanken sich befinden, wenn man an einer solch schrecklichen Krankheit leidet. Paula will eigentlich nicht mehr leben, nicht mehr sein, sie will, dass sich ihr Körper selbst verdaut. Dass sie nicht mehr im Hamsterrad des Lebens gefangen ist. Und auf der anderen Seite will sie das, was viele Teenager wollen. Leben, lieben und vorallem: geliebt werden.
Dass Paula sich gegenüber ihrer besten Freundin öffnet, scheint im ersten Moment die Rettung zu sein. Immerhin braucht es einiges an Mut, sich jemand anderem anzuvertrauen. Doch Helen ist ebenfalls erst siebzehn, kann vielleicht die Schwere der Krankheit selbst nicht richtig einschätzen und greift zum erstbesten Lösungsansatz: Paula unter Druck zu setzen, etwas zu ändern. Doch damit schnellen die Scheuklappen hoch, Paula macht dicht, sieht Helen als Feindin an, die sie nicht verstehen kann und will. Als Außenstehende ist es schwer, in so einer Situation richtig zu handeln. Umso schöner fand ich es, dass Helen ihre Freundin nicht im Stich gelassen hat, dass sie Paula schlussendlich ein Anker geblieben ist, um in ihrem inneren Meer nicht gänzlich unterzugehen.
Ein Buch für Betroffene, Angehörige und auch für Außenstehende gleichermaßen. Bis zum Hals geht mit dem Thema Bulimie gleichzeitig originell und informativ um, und gibt uns einen tiefen Blick in die Seele eines daran erkrankten Menschen.
Ich weiß, es ist ein hartes Thema, etwas, das unsere heile Welt brüchig werden lässt. Aber wir dürfen nicht länger wegschauen. Wenn jemand zu euch kommt und euch um Hilfe bittet, helft ihm. Wenn ihr bemerkt, dass bei jemandem irgendetwas nicht so zu sein scheint, wie es sollte, fragt nach. Lasst euch nicht abwimmeln, bleibt dran. Sagt euch nicht, es geht euch nichts an. Denn es geht jeden etwas an. Wenn wir nicht wegschauen würden, wenn wir für die da wären, die es am dringendsten nötig haben, würden solche Geschichten nicht erzählt werden müssen. Und doch werden sie erzählt. Und ihr solltet sie lesen.
Augen auf!
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