Wenn aus Büchern Schätze werden.
Es gibt diese Geschichten, die lassen dich ein ganzes Leben lang nicht los. Sei es, weil sie in frühester Kindheit gehört wurden, oder weil sie eine Saite in dir zum klingen bringen, wie es kein anderes Buch schafft.
So eine Geschichte wird auf ewig Alice im Wunderland von Lewis Carroll für mich sein. In Kindertagen für mich entdeckt, wuchs ich mit dieser Geschichte und ihren verrückten Episoden auf, und verstand sie erst nach und nach völlig. Dabei fiel mir auch schon damals auf, dass der Fantasie im Wunderland keinerlei Grenzen gesetzt werden. Alles ist möglich! Und wenn unter all der bunten Quirlichkeit und den schlauen Rätseleien immer der Schatten des Wahnsinns lauert, dann gibt es bestimmt auch einen düsteren Aspekt des Wunderlands, nicht wahr? Viele Adaptionen zu dem vielgestalten Stoff der Geschichte gibt es auf dem Buchmarkt, aber heute stelle ich euch eine Reihe vor, die mir ganz besonders ans Herz gewachsen ist.
Auf Christina Henry stieß ich zunächst dank ihrer wunderbar melancholischen Adaption zu Peter Pan. Doch damit nicht genug, ihre Adaptionen zu bekannten (Märchen-)Stoffen haben immer eines gemeinsam: Sie sind wunderbar düster. So auch ihr Wunderland, das auf den ersten Blick so gar nichts wunderbares an sich hat. Doch Obacht: Betreten auf eigene Gefahr, hier wird nicht mit Gewalt gespart.
Alice beginnt damit, dass wir uns in einer Nervenheilanstalt befinden. Die junge Frau unterhält sich mit ihrem Zimmernachbarn, den sie seit 10 Jahren nur durch ein winzig kleines Mauseloch in der Wand hört und sieht. Hatcher, eben jener Zimmernachbar wurde eingesperrt, nachdem er ein schreckliches Blutbad mit einem Beil angerichtet hat. Aber Alice?
When they found her all she would say was, „The Rabbit. The Rabbit. The Rabbit.“ Over and over. When she acted like that they said she was mad. Alice knew she wasn’t mad. Maybe. Not deep down.
(Christina Henry | Alice | S. 9)
Alles sollte ein nur ein kleines Abenteuer sein. An ihrem 16. Geburtstag verlässt sie die New City mit ihrer besten Freundin Dor, um diesen Tag in der verbotenen Old City zu feiern. Doch dieser Ausflug eskaliert, Alice selbst kann sich an nicht viel mehr erinnern, als daran, dass sie ohne ihre Freundin zurück kam, Blut an den Händen und eine Wunde im Gesicht. Immer wieder blitzt eine verschwommene Erinnerung in ihr auf: Lange, weiße Hasenohren. Aber wer oder was ist dieser Hase, der ihr so eine unbegreifliche Angst macht?
Ein ausbrechendes Feuer befreit schließlich Alice und Hatcher aus der Anstalt und ebnet den Weg für eine blutige Geschichte, bei der wir immer tiefer in dieses kuriose düstere Wunderland eintreten, dass sich Old City nennt. Dabei begegnen wir bekannten Figuren aus Lewis Carrolls Original wieder, aber in gänzlich anderer Funktion. Waren manche Charaktere nur einfach ein wenig boshaft und überheblich, so sind sie hier abgrundtief grausam. Wer also vor expliziter Gewaltdarstellung zurückschreckt, der sollte Abstand nehmen, auch wenn die Cover noch so anziehend wirken.
Der gemeinsame Weg von Hatcher und Alice führt sie nicht nur zu den großen Magiern des Wunderlands wie der Raupe, dem Hasen, der Grinsekatze oder auch dem gefürchteten Jabberwocky. Sie führt auch tief hinab in die verwundete Seele Hatchers, der in immer ausufernderen Aussetzern gefangen ist. Er erinnert sich ebenfalls nur bruchstückhaft an sein Leben vor der Anstalt, doch ein Name schimmert immer wieder durch den nebeligen Gedankenvorhang: Jenny. Wer oder was Jenny ist, das wird sich erst mit der Zeit herausstellen. So viel sei aber verraten, sie spielt eine große Rolle im nächsten Band.
In Red Queen geht es weniger brutal als viel mehr magisch zu. Denn nachdem wir gemeinsam mit Alice und Hatcher die Old City hinter uns gelassen haben, befinden wir uns auf der Suche nach besagter Jenny. Sie soll an einen fernen Ort verkauft worden sein, und seitdem singt man von den Dächern der Städte von ihrer wundersamen Schönheit. Doch stimmt das alles? Ist Jenny wirklich noch am Leben, nach so vielen Jahren? Die beiden Reisegefährten suchen ihren Weg über verbranntes Land und finden sich schließlich in einem dichten Wald wieder. Eine übersinnliche Kraft nimmt sich Hatchers an und lässt Alice allein zurück.
Im Wald finden wir verwunschene Dörfer, magische Kreaturen und fluchbeladene Brüder. Hier nun kommt die gesamte Kraft des Wunderlands zutage, denn diese Geschichte sprüht nur so vor Magie und Wundersamen. Dabei ist auch diese neue Umgebung ziemlich brutal, und die wohl angsteinflößendste Figur ist hier die Weiße Königin. Sie nimmt den Bewohnern eines kleinen Dorfes die Kinder, um sie für ihre Zwecke zu missbrauchen, und sie nimmt Alice ihren Wegbegleiter. Auch auf sich allein gestellt, ist Alice nicht zu unterschätzen. Denn sie will Hatcher finden und aus den Krallen der Königin befreien. Was es dabei mit der Roten Königin auf sich hat? Pssssssst …. Das bleibt geheim.
In Looking Glass nun machen wir erst einmal Pause vom aktuellen Geschehen und lernen die Welt, die Christina Henry rund um Alice erschaffen hat, ein wenig näher kennen. In diesem Band sind vier Novellen enthalten, von denen zwei sich nicht mit den unmittelbaren Erlebnissen beschäftigen. In der ersten Geschichte Lovely Creature lernen wir Elizabeth Hargreaves kennen, Alice‘ jüngere Schwester, die sie nie kennengelernt hat. Auch in ihr schlummert etwas magisches, und, von ihren Eltern weggelockt, wird Elizabeth alles daransetzen müssen, nicht ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie Alice, als sie einen Ausflug in die verbotene Old City machte.
In When I first came to town lernen wir Hatchers jüngeres Ich kennen, den jungen Nicholas, der in einem Kampf um Leben und Tod dem Walross gegenübersteht. Dank dieser Geschichte wird Hatchers Charakter noch greifbarer und man erkennt, wie sehr ihn die Geschehnisse nach den längst vergangenen Tagen verändert haben. Allen vier Geschichten, ob sie nun Alice‘ Weg weiterverfolgen oder aber andere Blickwinkel gewähren, ihnen allen liegt eines zugrunde: Sie zeigen, wie sich die Beteiligten selbst retten. Egal ob Mädchen oder junger Mann, ob als Paar oder allein. Die selbstherbeigeführte Rettung steht immer im Mittelpunkt und gibt Hoffnung.
Das Ende der letzten Geschichte The mercy seat könnte ein Ende ihrer Abenteuer bedeuten, aber ich bin sicher, dass Christina Henry uns auch in Zukunft noch mit Geschichten aus ihrem düsteren Wunderland beglücken wird.
Irgendwie habe ich immer Angst vor Adaptionen, aber du machst mir jetzt doch Lust auf diese Bücher 😅
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Christina Henrys Adaption ist wirklich richtig gut! Man darf halt nur kein Problem mit expliziter Gewaltdarstellung haben. Ansonsten wird das erste Buch zum Albtraum.:o
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Explizite Gewaltdarstellung ist eben auch nett umschrieben. 😅🤣 Wie genau wird es denn beschrieben?
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Übrigens erinnert mich das Konzept mit der Nervenheilanstalt an „Alice – Madness Returns“
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Japp, das Spiel hatte ich auch im Kopf. =)
Es lässt sich schwer beschreiben, ich sags mal so, es gibt im wahrsten Sinne Flüsse aus Blut. Und auch vor Kannibalismus und Vergewaltigungen wird nicht zurückgeschreckt. Andererseits empfand ich es eher als Tarantino-Stil. Aber andere, die das Buch gelesen haben, hätten halt am liebsten eine Triggerwarnung gesehen, deswegen, hier also die Warnung. 😉
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Ah okay, gut zu wissen. Krass, dann werde ich die Bücher vielleicht doch lieber meiden. XD Ich sanftes Gemüt.
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Der erste Band liegt auf meinem SuB und ich bin sehr gespannt auf das Buch.
Ich bin kein so großer Fan von der normalen Geschichte.
Aber jede düstere Abwandlung weckt direkt mein Interesse.
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Oh, dann bin ich gespannt wie dir diese Adaption gefällt, denn düster ist sie wirklich sehr. 😀
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Ui Ui Ui,
deine Umschreibung…
… hat mir jetzt mehr Lust auf die Adaptionen gemacht, als auf das Original. *lach* 😀
Ich liebe Tarantino!!!
Cheerio,
RoXXie
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😀 Jeder mag eben etwas anderes! 😀 Wobei ich beides toll finde, das Original in seiner Skurrilität und diese Adaption für seine magische Düsternis 😀
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Beim ersten Anlesen haben mir die Bücher gar nicht gefallen. Das liegt aber auch daran, dass ich schon viele Wunderland-Geschichten gelesen habe. auch mit Frank Beddors Version habe ich mich zuerst schwer getan. Vielleicht gebe ich den Bänden doch noch eine Chance. Was du schreibst klingt vielversprechend.
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Was genau hat dir denn nicht gefallen? Manchmal sind Adaptionen ja auch schwierig. Band 1 ist auch erstmal etwas gewöhnungsbedürftig, und mir hat es erst beim zweiten Mal so richtig gut gefallen, einfach weil ich dann wusste worauf ich mich einlasse. 🙂
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Ich fand die Verbindung zu Carrols Alice teils gezwungen, fast störend beim Lesen, weil ich mir die entworfene Welt so schlechter vorstellen konnte. Zudem musste ich ständig an McGee’s Alice denken. Das war auch nicht hilfreich. Kennst du das Game?
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Japp, das Spiel kenn ich auch, hab auch beide Teile gespielt und (bis auf die teils echt krakelihe Steuerung) geliebt. Henrys Wunderland-Version entwickelt sich allerdings ganz anders als das Spiel.
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Meine liebste Gabriela! ❤
Ach, die Alice-Adaption von Christina Henry war ja auch ganz nach meinem Geschmack. Und ulkigerweise hatte ich das Gefühl, dass mir gerade die Novellen am allerbesten gefallen haben! Dann kommt der zweite Band, und danach erst 'Alice'. 😀 Ist aber eigentlich ganz passend, wenn man an die Verschwurbelt-heit des Originals denkt! 😀
Und ich drück mit dir die Daumen, dass wir noch eine Fortsetzung der Geschichte bekommen – ganz egal, in welcher Form und aus welcher Perspektive. ❤
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Liebste Ida! ❤
Man merkt wirklich, wie sich die Autorin immer mehr in der Wunderlandwelt zurecht findet und eigene Wege geht, ne? Von der reinen Brutalität hin zu magischen Flüchen und Hintergrundgeschichten. Umso schöner wäre es, wenn wir dann noch einmal in dieses Land dürften. =) ❤
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Das stimmt! Ganz so, als fühlte sie sich nun so richtig heimisch im Wunderland ❤
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Ich freue mich schon ganz wahnsinnig auf den nächsten (deutschen) Band von Christina Henry. Ihre düstere Adaption ist unglaublich fesselnd ❤
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Und diesmal wird es ja dann wirklich sehr magisch und märchenhaft – ich bin super gespannt wie dir der zweite Teil gefallen wird! Und vor allem, wie sie ein bestimmtes Paradoxon in der Übersetzung lösen werden… xD) ❤️
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Hallo Gabriela,
während ich mich nahezu seitenlang über die Bücher der Alice-Chroniken auslasse, schaffst Du es in kurzen und knappen Sätzen alles Wichtige auf den Punkt zu bringen. Bewundernswert!!
Während ich ja vom 1. Band total begeistert war, konnte mich, wie Du ja schon gelesen hast, der 2. Band so gar nicht mitreißen. Für mich ging auch die ganze Magie verloren, da ich maßlos von der herumjammernden Alice genervt war. Ich vermisste die selbstbewusste Frau, die gerade dabei war ihre Stärken zu entdecken.
Nun bin ich aber erstmal auf den 3. Band gespannt. Ich hatte ja eigentlich gehofft, dass hier die losen und nicht weitergeführten Handlungsstränge von Band 2. zu einem sinnvollen Ende geführt werden, aber anscheinend doch nicht. Trotzdem freue ich mich auch schon auf diesen Kurzgeschichtenband und vor allem freue ich mich, wie Du, auf „Peter Pan“. Auf „Die Chroniken der Meerjungfrau“ dürfen wir uns nächstes Jahr ja auch freuen.
Ich hoffe ich schaffe es diesmal zeitgerecht bei der LR mitzumachen. Bisher machten mir ja meine Dienste immer einen Strich durch die Rechnung und ich würde so gern mit Euch gemeinsam lesen und nicht immer hinterherhinken.
Liebe Grüße aus Wien
Conny
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Liebe Conny!
Ach ich hätte da bestimmt auch noch ein paar Sätze mehr fallen lassen können, aber wenn ich schon in enem Atemzug alle drei Bände vorstelle, dann wollt ich mich doch nicht zu ausufernd auslassen 😀
Die Kurzgeschichten in Band 3 sind ein schöner Einschub, da man hier noch ein bisschen mehr aus Alice‘ und Hatchers Leben erfährt, auch wenn man sich am Ende schon fragt, ob es das jetzt wohl gewesen ist. Lassen wir uns da überraschen!
Ich drücke dir bei der nächsten Runde auf jeden Fall feste die Daumen, was die Zeit anbelangt und wenn ihr Peter Pan auch gemeinsam lest, dann schließe ich mich euch dann sehr sehr gern an. ♥
Alles Liebe!
Gabriela
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Mit diesem „Kurzfassen“ hab ich echt so meine Probleme. Selbst wenn ich eigentlich eine Kurzrezension machen möchte, wird es am Ende wieder elendig lang. Und das obwohl ich eigentlich so gar keine bin, die allgemein viel und ohne Punkt und Komma redet. Es ist zum Haareausreißen XD.
Ich freue mich ja wirklich schon auf die Kurzgeschichten. Ich mag es, wenn man die Möglichkeit bekommt etwas tiefer in die Figuren zu blicken und wer weiß, vielleicht gibt es ja tatsächlich noch eine Fortsetzung *g*.
Im deutschsprachigen Raum erscheinen ja nächstes Jahr gleich 3 Teile dieser Märchenadaptionen. Um wieviele Bände sind uns der englischsprachige Raum voraus?
Liebe Grüße
Conny
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