Wenn aus Büchern Schätze werden.
Ein literarischer Drogenrausch!
Werbung | Autor: Max Wolf | Titel: Glücksreaktor |
Erscheinungsdatum: August 2018 | Verlag: Hoffmann und Campe| 256 Seiten | Genre: Roman
Am Nachmittag hängen wir bei Natalie ab. Natalie liegt flach ausgestreckt auf dem Sofa, Nick und ich hängen in den Sesseln, unsere Lungenschleusen sind im Daueröffnungszustand, langgezogene, sphärische Klänge schieben sich durch den Raum.
(S.56)
Was ist das echte Leben? Besteht es aus dem immerselben Alltag, aufstehen, arbeiten gehen, schlafen? Oder sollte es viel mehr sein, sollte es sprudeln? Der siebzehnjährige Fred aus einem kleinen Dorf bei Erlangen stellt sich exakt diese Frage. Und mehr: Er probiert alles, um sein Leben wahrhaftig zum Sprudeln zu bringen – auch mittels Drogen. Wie schnell das Leben entgleitet, merkt er dabei lange Zeit nicht.
Ich bin in den 90ern großgeworden. Barbie, Nintendo, Boybands und die Bravo sind fest mit meiner Kindheit verwurzelt. Doch in diesem Jahrzehnt hat auch die elektronische Musik ihren ganz großen Boom erlebt. Fred ist im besten Alter, als er 1994 auf den Zug der zuckenden und durch die Luft hackenden Tanzenden aufspringt. Mit seinem besten Kumpel Nick zieht er sich immer mal wieder eine Tüte rein, doch mehr als kiffen ist nicht drin. Dann lernen sie Natalie kennen und mit ihnen die sogenannte Raverszene. Um die exzessiv durchtanzten Wochenenden durchzuhalten, gleitet Fred schnell in einen regelrechten Drogenrausch ab und findet seinen Weg nicht mehr hinaus.
Die Geschichte ist im absoluten Umgangston geschrieben. Das ist gut, um sich Fred vorstellen zu können, den Rebell, der alles will, nur nicht das Ameisenleben seiner Eltern. Doch mit der Zeit kann es auch ganz schön anstrengend werden, wenn man nur noch in den Extremen null Komma null oder maximal denken kann. Alles oder nichts, das ist Freds Motto. Normale Gefühle gibt es nicht. Während ich Freds Launen lauschte, dachte ich darüber nach, wie schwer es Außenstehenden zuweilen gehen muss, wenn sie Teenagern in ihrer Sprechweise zuhören. Habe ich mich damals ebenfalls so verquer angehört, so anstrengend? Ich hoffe nicht.
Und doch trifft Max Wolf 1-A den Ton, vermittelt das Bild des Jugendlichen der damaligen Zeit perfekt. Die Technomusik nimmt den Großteil des Romans ein, von transzendentalen Klängen bis zum Stroboskobgewitter und den kreischenden, schrillen Tönen der härteren Musikgattung. Mit jedem Kapitel spürt man diese Klangwellen durch die eigenen Blutbahnen pumpen, ob man will oder nicht. Beflügelt vom Drogengenuss genießt Fred immer mehr sein Leben, dass sich zunehmend nur noch am Wochenende abspielt. Die Woche nutzt er um runterzukommen, sich zu erholen. Schule wird nebensächlich, dabei ist er kein dummer Mensch. Wie viel die Drogen wirklich mit ihm machen, das sehen nur Außenstehende. Ein hoffentlich Augen öffnendes Ereignis findet gegen Ende statt, und ich denke, dass Fred die Kurve bekommt. Vielleicht hat der Autor das Ende offen gelassen, um Platz für Spekulationen zu lassen. Denn auch ohne permanent erhobenen Zeigefinger kann man den Weg aus dieser Drogenspirale finden, wenn man es selber möchte.
Interessantes Detail: Etwas so detailliert zu beschreiben, was man selbst nicht kennt, ist oftmals sehr schwer, wenn nicht sogar unmachbar. Max Wolf jedoch beschreibt hier teilweise sein eigenes Leben, seine eigene Erfahrung mit der Raverszene in den 1990ern. In einem Interview erzählt er davon, wie er in die Szene hineinkam und wie er dennoch seinen Weg im Leben gehen konnte. Heute ist er Evolutionsbiologe, erforscht Verhaltensweisen der Menschen – und geht noch immer gerne tanzen!
Ein eigenwilliges Buch, dem man sich öffnen muss. Was einen dann erwartet, ist ein wahrer literarischer Trip durch die elektronische Musikwelt, getragen auf Wellen von Speed, Koks und jede Menge Rauch.
Idee ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Handlung ★★★☆☆ ( 3 / 5 )
Charaktere ★★★☆☆ ( 3 / 5 )
Sprache ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Emotionen ★★★★☆ ( 4 / 5 )
=3.6 ★★★★
Herzlichen Dank an den Hoffmann und Campe Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares!
Guten Morgen Liebes, das ist ja mal ein etwas anderes Buch 😀 bin ich mir von dir nicht so gewöhnt! Finde es aber toll wie du dich total auf ein neues Genre einlassen kannst! Ich kenne sogar in echt solche Menschen, die sich mit Drogen das ganze Wochenende wach gehalten haben, um zu tanzen… für mich wäre das gar nichts! Ich bin so gerne ein Frühaufsteher und möchte so viel den Tag hindurch machen 😀 da brauche ich meinen Schlaf! Hab einen tollen Tag ❤
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Liebes, da sprichst du mir aus der Seele 😀 Ich bin völlig zufrieden, abends um 10 völlig ermattet auf der Couch zu lümmeln 😀 Gut, früher war das auch noch bissl anders, aber mit Drogen kam ich trotzdem nie in Kontakt.
Und ja, man muss immer offen für neues sein 😀 So lernt man Welten kennen, die man sonst nicht betreten hätte (:
Bald ist Wochenende! ♥
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Bonsoir, Gabriela.
Ich könnte ein wenig in die Weltsicht Freds hüsteln & fragen, ob es einen Unterschied gibt zwischen einer Unterwerfung unter den Alltagstrott & der Unterwerfung, die jede Droge abverlangt.
Mir war eigentlich mein Verstand stets näher, als ein Bedürfnis sich in Rauschwelten zu ballern; einmal abgesehen davon, dass mir ein Schluck Alkohol bereits betontes Schädelhämmern beschert. Nope & yikes! 🧐
Wobei das mit dem „Live fast, die young“ wohl schon jede Generation der Neuzeit an- & durchgekaut hat.
Ach ja, tanzen konnte ich auch nie… 😉
„Leben bedeutet nicht, die Flamme in einem Wasserstoff/Sauerstoff-Gemisch zu zünden. Leben ist viel eher Einsicht, Zuversicht, Aussicht. Mit viel an Schönheit & Spaß.“
(Florance Ippdit)
bonté
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Dasselbe habe ich mich auch schon gefragt und darüber nachgedacht. So sehr Fred das sogenannte Ameisenleben missachtet, so sehr klammert er sich an sein neues Raver-Ameisendasein. Grenzenlose Individualität gibt es vermutlich einfach nicht.
Liebe Grüße!
Gabriela
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…ich denke, Individualität ist zu sich selbst zu stehen; offen sein für andere, ohne sich von Ismen überrennen zu lassen. Ein wacher Blick, auch auf sich selbst. Für Wahrheit einstehen können – ohne „absolute Wahrheiten“ verkünden zu wollen. Nicht zuletzt: Menschlich bleiben ist ein guter Markstein für eine Individualität.
bonté
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