Wenn aus Büchern Schätze werden.
Werbung | Autor: Stephen King als Richard Bachman | Titel: Menschenjagd |
Übersetzung: Nora Jensen |
Erscheinungsdatum: 1982 | Verlag: Heyne |
254 Seiten | Genre: Thriller |
Er bekam einen weißen Umschlag und riss ihn auf. Seine Hände zitterten, und er brauchte zwei Anläufe, bis es ihm gelang, die Plastikkarte herauszuziehen. Er betrachtete sie stirnrunzelnd und verstand gar nichts mehr. Keine Aufgabe, kein Programm war auf die Karte gestanzt. Da stand nur: FAHRSTUHL SECHS.
(S.39)
Wir schreiben das Jahr 2025. Die Menschen gehören nur noch zwei Klassen an, den Arbeitenden der Oberen und den Arbeitslosen der Unteren, die Ausgestoßenen. Ben Richards gehört zu letzteren. Früher hat er bei General Atomics gearbeitet, wurde durch die Strahlungen dort beinahe unfruchtbar und kündigte schließlich, um den letzten Funken Hoffnung auf eine Familie mit seiner Frau nicht gänzlich begraben zu müssen. Doch die gemeinsame Tochter Cathy ist krank, und Ben kann die nötige Medizin nicht bezahlen. Der einzige Ausweg, der Ben noch bleibt, ist die Spielekommission. Die mit Menschenleben jongliert wie mit billigen Plastikbällen, um die Menschheit zu belustigen. Die Geld zahlt, damit man sich zu Tode hetzen lässt.
Ben Richards‘ Leben habe ich bereits zweimal beigewohnt, jedoch konnte ich mich nur an das fulminante Ende erinnern. Flugzeuge und Gedärme, das sprang in meiner Erinnerung hin und her und ich bekam schlussendlich beides reichlich – aber Richards Weg bis dahin, der war tief in meinen Erinnerungen verschütt gegangen.
Warum eigentlich, das habe ich mich während des Lesens andauernd gefragt. Denn Menschenjagd ist sozialkritisch, spannend und bis zuletzt überraschend. Unser Protagonist ist kein schmusiger Typ, den man für seine Herzlichkeit ins Herz schließen kann. Vielmehr ist er laut, aggressiv und schlau. So schlau, dass er als Kandidat für die Menschenjagd ausgewählt wird, die größte Show im Free-Vee. Free-Vee, das bekommt jeder Mensch auf der Welt – außer die in Südamerika, wie mir schien – frei in die Wohnung und auf den TV-Bildschirm geliefert. Free-Vee beduselt das Gehirn, damit die Menschen nicht weiter über ihr armseliges Leben nachdenken müssen. Damit sie sich damit begnügen, anderen armen Individuen beim Leiden zuzusehen.
Menschenjagd ist also der ganz große Hit, eine Hetzjagd auf einen einzelnen Menschen. Jeder Bürger kann sich was dazuverdienen, wenn er Angaben zum Versteck des Gejagten weitergibt. Und wenn sie dich haschen, dann töten sie dich. Aber Richards ist clever, ihm gelingt es immer wieder, aus den zugezogenen Netzen der Polizei und der Jäger zu entkommen. Und jede Stunde, die er überlebt, zahlt sich im wahrsten Sinne des Wortes aus. Dass am Ende der Tod – sein Tod – steht, das erwartet er von Anfang an.
Stephen King hat hier eine moderne Art der Gladiatorenkämpfe erdacht, die mittlerweile in gar nicht mehr so weit entfernter Zukunft stattfinden. Und ähnlich wie schon beim Todesmarsch fragt man sich gelegentlich, wie weit wir denn tatsächlich noch davon entfernt sind, dass der Tod wieder allgegenwärtig in unserer Bespaßung wird. Auch fand ich es toll, wie kritisch sich Richards im Laufe der verstreichenden Tage mit den sozialen Strukturen auseinander setzt, denen die Bevölkerung unterworfen wird. Egal ob reich oder arm, sie alle tragen Masken. Und darunter? Gähnende Leere, Austauschbarkeit. Und Richards tut viel dafür, damit die Menschen genau das endlich erkennen.
Übrigens: Menschenjagd kommt beinahe ohne Querverweise zu anderen Werken Kings aus. Einzig die Kleinstadt Derry wird erwähnt, bei der man beinahe erwartet, Pennywise verschmitzt winken zu sehen. Außerdem sitzen die Oberhäupter der Spielekommission im neunzehnten Stockwerk – was besonders für Turm-Jünger interessant sein dürfte, denn wie wir wissen, ist alles Neunzehn, sage meinen Dank.
Übrigens, Nummer 2: Diesen Roman schrieb Stephen King in lediglich 72 Stunden. Zweiundsiebzig Stunden. Wer sich bisher wunderte, wie unser Vielschreiber zu seiner Masse an Büchern kam, nun wisst ihr’s also!
Ein spannungsgeladener Roman, der eine Zukunft zeigt, die unserer gar nicht mehr allzu fern liegt. Mit Ben Richards hat King wieder einen Charakter entworfen, mit dem man kämpft und leidet, mit dem man um jede weitere Stunde bangt und das scheinbar unvermeidliche Ende doch noch etwas hinauszögern möchte.
Idee ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Handlung ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Charaktere ★★★★★ ( 5 / 5 )
Sprache ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Emotionen ★★★★★ ( 5 / 5 )
= 4.4 ★★★★
Powerschnute | Lesenmachtglücklich
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Da fällt mir gerade ein, es ist an der Zeit für ein re-read von Todesmarsch auch von Richard Bachmann
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Todesmarsch ist immer wieder toll, jawohl!
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Ich weiß was ich als Kommentar beitragen kann, was du nicht bereits in der Rezension geschrieben hast. In allen Punkten gebe ich dir recht! 😁
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Ha, das is doch niemals verkehrt 😀 Danke! =)
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Hallo! 🙂
Todesmarsch steht gerade auf meiner Lesenliste ganz oben. 🙂 Bin schon sehr gespannt.
Aber auch Menschenjagd klingt wirklich sehr spannend, freue mich schon wenn ich da angekommen bin.
Ach ja, deine Rezension ist wie immer topp!
Liebe Grüße
Diana
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Liebe Diana!
Todesmarsch ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher von King ❤️ es ist so faszinierend, in welchem kleinen Rahmen King es schafft, so viel Tiefe zu schaffen. Ich bin super gespannt, wie du dieses Buch empfinden wirst!
Alles Liebe!
Gabriela
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