Wenn aus Büchern Schätze werden.
Triggerwarnung: sexueller Missbrauch
Werbung | Autor: Louise O’Neill | Titel: Du wolltest es doch |
Übersetzung: Katarina Ganslandt |
Erscheinungsdatum: 2020 | Verlag: Carlsen |
326 Seiten | Genre: Jugendbuch |
„Gott, habt ihr mitgekriegt, wie Ciarán O’Brien mich eben mit Blicken ausgezogen hat?“ Ich schüttle mich, als wir den beiden hinterhersehen.
„Na ja, wundert dich das, Prinzessin?“ Jamie sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.
„Deine Brüste haben ihn ja quasi angesprungen.“
(S.59)
Emma O’Donovan ist eines von diesen Mädchen, die einfach unglaublich schön sind. Und dann ist sie auch noch zu allen nett. Zumindest oberflächlich betrachtet. Wenn man jedoch einen näheren Blick auf sie wirft, dann krizzelt dieses Bild gewaltig, denn so richtig viel zu bieten hat die Achtzehnjährige nicht außerhalb ihrer Schönheit. Ein Grund mehr für sie, immer Vollgas zu geben, auf Partys, bei Typen. Bis ihr das zum Verhängnis werden soll.
Noch einmal vorab, sollte es bei Titel und Cover des Buches nicht bereits klar sein: Dieses Buch behandelt das wichtige, aber durchaus sehr triggernde Thema des sexuellen Missbrauchs.
Emma O’Donovan ist grundlegend erstmal keine besonders angenehme Protagonistin. Sie zählt zu den It-Girls ihrer Stadt in Irland, ist zwar an sich beliebt und jeder würde gern in ihrer Gunst stehen, aber an sich kann sie nicht viel anbieten. Das scheint den meisten Jungs ihrer Umgebung jedoch nichts auszumachen, denn Emma fackelt nicht lang, sie nimmt sich, was sie will, und das ist vor allem Sex.
Doch bei einer Party, bei der sie zunächst noch den Ton angab, dreht sich der Spieß in eine völlig andere Richtung und sie wacht am nächsten Morgen zerschlagen und verwirrt vor ihrer Haustür auf, kann sich an nichts mehr erinnern von dem vergangenen Abend. Erst später wird ihr klar, dass da etwas passiert sein muss, das sie so nicht wollte. Damit beginnt eine Abwärtsspirale, die uns Leser auf eine harte Probe unserer eigenen Empathiefähigkeit stellt. Denn klar, passiert so etwas jemandem, sind wir zurecht entsetzt und schreien auf. Doch was, wenn wir diese Person eigentlich gar nicht leiden konnten? Und die Autorin tut im Vorhinein ziemlich viel dafür, dass wir Emma wirklich nicht besonders mögen. Aber sind wir dann immernoch in der Lage mit ihr zu leiden, sie schützen zu wollen? Oder handeln wir wie viele ihrer Mitschüler, ja sogar ihre Eltern, die wohl alle insgeheim denken, dass Emma ja wohl selbst schuld an ihrem Schicksal ist? Weil sie sich freizügig anzieht, weil sie sich nimmt, was sie will? Weil sie Drogen nimmt, um erst recht bei den Jungs zu punkten?
Ich fand es ausgesprochen mutig von der Autorin, uns keine Sympathieträgerin vorzusetzen, bei der es einfach ist, mitzufühlen. Denn Missbrauch kann jedem passieren, sympathisch oder nicht. Der Umgang von Emmas Umgebung mit dem, was ihr passiert, hat mich sehr entsetzt. Doch auf der anderen Seite müssen wir uns vor Augen führen, dass das Ganze im sehr katholischen Irland geschieht, ein Land, in dem man manchen Dingen noch immer sehr viel engstirniger entgegentritt, als man heutzutage annehmen möchte. Denn mit der erhobenen Anklage gegen die Täter ist es nicht vorbei, nein, damit beginnt der Spießrutenlauf für Emma erst recht, bei dem sie sich immer weiter abschottet, immer kleiner wird. Das Ende des Buches ist ebenfalls nicht das, was man erwarten würde, aber auch hier fand ich die Entscheidung der Autorin mutig. Denn es gibt nicht immer ein Happy End, weder in Geschichten, noch im wahren Leben. Und ich denke nicht, dass das eine falsche Botschaft sendet, sondern eher aufrüttelt, das eben noch immer mehr getan werden muss für Opfer solcher Verbrechen.
Ein Buch, das die Gemüter der Leser gespalten hat, mich aber durchaus positiv beeindrucken konnte, aufgrund seines Abweichens von Spuren, die wir sonst immer wieder in solchen Büchern finden.
Handlung ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Atmosphäre ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Charaktere ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Sprache ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Emotionen ★★★★★ ( 5 / 5 )
= 4.2 ★★★★
Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich das Buch gelesen habe und es freut mich, dass es immer noch neue Leser*innen findet.
Mich hat es damals auch ganz schön aufgewühlt und den Punkt, dass die Autorin eben keine „sympathische“ Überlebende geschaffen hat, sondern so eine gegensätzliche Persönlichkeit, hat das Buch für mich noch stärker gemacht.
Danke, dass du deine Meinung geteilt hast. 🙂
Liebe Grüße
Ramona
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Jepp, das Buch war vor ner ganzen Weile ständig auf allen Kanälen zu sehen (weshalb ich es dann auch erst jetzt gelesen hab xD) und ich erinnere mich auch, dass die Prota durchaus polarisiert hat. Ich seh es da genau wie du, ich fand, das hat dem Buch einen besonderen Touch gegeben. 🙂
Alles Liebe!
Gabriela
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Hallo Gabriela,
mich hat das Ende sehr gestürzt, aber wie du schon sagst, es gibt nicht immer ein Happy End. Und auch wenn ich persönlich mir doch diesmal ein positives Ende gewünscht hatte, finde ich die Wahl der Autorin sehr gut. Denn leider sieht so in vielen Fällen die Realität aus.
Ich finde das Buch sehr gut und sollte viel öfter gelesen werden!
Liebe Grüße
Diana
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Huhu Diana!
Ich war auch schockiert, besonders, wie schnell die Eltern mit dieser „Lösung“ zufrieden waren. Aber es gibt eben leider auch solche Eltern, und das zeigt doch im Grunde erst recht, woran die Menschheit tatsächlich arbeiten sollte.
Liebe Grüße!
Gabriela
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Oh ja, das fand ich auch furchtbar. Immerhin sind das doch die Personen, die einem unterstützen und helfen sollten.
Ihr Bruder hat mich da zutiefst beeindruckt, weil er so ziemlich der einzige war, der nicht zu allem „Ja und Amen“ gesagt hat.
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