[Hörbuch-Empfehlung] Ryan David Jahn – Ein Akt der Gewalt

Brutal, erschütternd – und entsetzlich aufwühlend.

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Werbung | Autor: Ryan David Jahn | Titel: Ein Akt der Gewalt |
Sprecher: David Nathan  |
Erscheinungsdatum: 2011 | Verlag: Audible Heyne Hardcore|
5 Stunden | Genre: Psychothriller |

sterne5

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Die Roststellen auf der Klinge des Messers, das er in der Hand hält,
erinnern an Sommersprossen.

(Kapitel 3 | Audible)anführung_oben

*Triggerwarnung aufgrund
explizit beschriebener Gewalt und Vergewaltigung

schnörkel

Inhalt

Es ist 4 Uhr morgens. Katrina Marino ist auf dem Weg nach Hause von einer langen Nachtschicht in der Bar. Kurz vor ihrer Einfahrt sieht sie, wie einer ihrer Nachbarn das Haus verlässt und davonfährt. Sie grüßen einander aus der Ferne, dann ist sie wieder allein. Oder doch nicht? Denn sie fühlt sich beobachtet als sie aussteigt und nach den Schlüsseln kramt. Nachdem sie ihr Auto verlassen hat, wird sie hinterrückts angegriffen und mit einem Messer mehrfach schwer verwundet. Sie schreit um Hilfe, einige Lichter in den Wohnungen gehen an. Hilfe naht bestimmt schon!

Nein. Leider nicht.

Rezension

Vom Wegschauen

Es ist eine zutiefst verstörende Geschichte, die uns hier von Ryan David Jahn aufgetischt wird. Ein brutales Verbrechen an einer jungen Frau, die eigentlich nur nach Hause wollte. Nachdem sie von dem Täter überrascht und attackiert wurde, ruft sie laut um Hilfe. Einige der Anwohner in ihrem Gebäudekomplex sind noch immer wach. Sie hören den Schrei. Manche von ihnen gehen zum Fenster und werfen einen Blick in den nur leicht beleuchteten Hof. Sie erkennen die junge Frau, die dort unten sitzt. Ist sie verletzt? Sollte man nicht die Polizei rufen? Dann fällt der Blick auf die anderen beleuchteten Fenster. Sollen sich andere darum kümmern.

Ryan David Jahn erzählt nicht nur die Geschichte Katrina – Kat – Marinos. Vielmehr verlässt er das typische Opfer-Täter-Szenario, um sich den vermeindlichen Zeugen zu widmen. Ein jeder von ihnen hat seine eigenen (schwerwiegenden) Probleme, die ihn noch um diese Uhrzeit wachbleiben lassen.  Da ist die Frau, die auf ihren fremdgängerischen Ehemann wartet. Oder der Mann, der sich eigentlich das Leben nehmen will, dann aber von einem seiner Freunde im letzten Moment noch abgehalten wird. Oder Frank, der Nachbar, den Katrina kurz vor dem Unfall noch hat wegfahren sehen. Dessen Frau dachte, sie hätte ein Kind überfahren und er ist unterwegs, um für Klarheit zu sorgen. Selbst der Polizist, der Katrinas Schrei ebenfalls hört und doch seinen eigenen – nicht minder brutalen – Machenschaften nachjagen wird. Sie alle könnten eingreifen, könnten zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Könnten der jungen Frau behilflich sein, die schwer verletzt im Hof um ihr Leben kämpft. Sie alle könnten rechzeitig helfen, bevor der Täter zurückkommt. Doch sie tun es nicht.

Dabei wechselt die Geschichte immer wieder die Perspektiven, und David Nathan gelingt es, jeder dieser Figuren ein eigenes Leben einzuhauchen. Man möchte vergessen, dass dort draußen in der Kälte Katrina liegt und mit dem Tod kämpft, denn die Probleme ihrer Mitmenschen sind ebenso real wie vielfältig. Stück für Stück vergisst man Katrinas Leid, so wie diese Zeugen sie vergessen haben. Der Akt der Gewalt, er wird hier nicht nur singulär, sondern in vielerlei Hinsicht verübt. Ein Akt wie auf der Bühne, ein ganzes Stück, das von der physischen und pysischen Gewalt lebt.

Ryan David Jahn beschreibt hier kein gänzlich fiktives Verbrechen. Im Jahr 1964 wird in New York City die 28-jährige Catherine – Kitty – Genovese vor ihrer Haustür mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Wie die Times später berichtet, sollen 38 Zeugen das Verbrechen mehr oder weniger gesehen haben, doch keiner holte Hilfe. Neuere Untersuchungen zeigen, dass dem nicht so war. Irgendwer rief schließlich doch die Polizei, aber für Kitty kam die Rettung leider zu spät. Aus diesem Gewaltakt ging die heute noch überall in den USA gültige Nummer 911 hervor, die Polizei, Feuerwehr und Krankenhaus zugleich erreicht.

Jahn beleuchtet die Tat aus einem anderen Augenwinkel, er zeigt die Menschen hinter den Vorhängen. Indem er sie menschlich macht und nicht mit dem Zeigefinger auf ihre unterlassene Hilfestellung hinweist, rückt er sie näher an uns heran. Wie viele von uns verstecken sich nicht auch zu gern in der großen Masse? Ein anderer wirds schon richten, was geht mich das Ganze an. Auch wenn wir ungern so von uns denken wollen, so handelt doch ein Großteil der Bevölkerung genau so. Würden wir Katrina helfen, wenn wir Zeuge werden, wie sie scheinbar verletzt mitten im Hof sitzt? Würden wir?

Fazit

Eine Geschichte, die mich als Hörbuch unglaublich mitgenommen hat, bei der ich gelitten habe und bei der ich am Ende in hilflose Tränen ausgebrochen bin, weil mir Katrinas Schicksal so nah gegangen ist. Und vielleicht, weil ich tief in meinem Herzen weiß, dass ich mich auch zu gern in der großen Masse verstecke.

Bewertung im Detail

Idee ★★★★★ ( 5 / 5 )

Handlung ★★★★★ ( 5 / 5 )

Charaktere ★★★★☆ ( 4 / 5 )

Sprecher ★★★★★ ( 5 / 5 )

Emotionen ★★★★★ ( 5 / 5 )

= 4.8 ★★★★★

weitere Meinung

Bielefelder Stadtbibliothek

schnörkel

 

8 Comments on “[Hörbuch-Empfehlung] Ryan David Jahn – Ein Akt der Gewalt

  1. Ohje… jetzt holt mich das Buch hier wieder ein. Ich habe das Hörbuch hier seit drei-vier Monaten liegen, aber kann mich nicht überwinden, es zu hören. Und ich werde es wohl noch ein Weilchen vor mir her schieben, weil ich im Moment einfach nicht die Nerven dafür habe. Ja. Das Thema Zivilcourage ist ein wichtiges Thema und wenn ich deine Rezension so lese, dann denke ich auch, dass das Thema hier gut aufgearbeitet wurde. Aber wie im Buch hat jeder auch seine eigene Last.
    LG, Jürgen

    Gefällt 1 Person

    • Oh! Manchmal ist für ein Buch einfach nicht der richtige Zeitpunkt gekommen, das kann ich voll verstehen. Aber wenn es irgendwann der Fall sein sollte, bin ich sehr gespannt auf deine Meinung. Mich hat es jedenfalls richtig mitgerissen, nicht zuletzt dank Nathans erneuter Glanzleistung.

      Liebe Grüße!
      Gabriela

      Gefällt 1 Person

  2. Huhu meine Feine! Der Titel ist schon verdammt lange auf meiner Wunschliste und du hast mich durch deine Worte wieder daran erinnert. Als Hörbuch wäre es für mich bei diesem Buch nicht die richtige Wahl, aber das Print rutscht wieder weiter nach oben ❤

    Zivilcourage ist ein Thema, welches mich immer wieder erschreckt, wenn diese nicht vorhanden ist und gerade dieses "zeigt die Menschen hinter den Vorhängen" macht mich nochmals neugierig. Wie ich agieren würde, kann ich von anderen nicht erwarten und doch erwische ich mich dabei, wie ich sauer werde, wenn Menschen untätig beobachten. Ein Aspekt mehr, erfahren zu wollen, was die Menschen dazu bewegt hat, nicht einzuschreiten, aber auch etwas das vielleicht dennoch auf Unverständnis meinerseits prallt … ich weiß es nicht. Das diese Geschichte auf den wahren Ereignissen der Kitty Genovese beruht, wusste ich nicht – denn da gibt es ebenfalls einen Roman – mit ihrem Namen im Titel – welcher bereits auch auf meiner Wunschliste schlummert! Huschen beide Geschichten direkt nach oben!

    Gefällt 1 Person

    • Huhu meine Liebe!
      Dann freu ich mich, dass ich dich an dieses Buch erinnern konnte!

      Zivilcourage ist wirklich ein wichtiges Thema und natürlich ist man immer entsetzt darüber, dass so wenige Menschen aktiv bei etwas einschreiten. Und ich bewundere wirklich all diejenigen, die es tatsächlich tun. Wohl wissend, dass ich in solchen Situationen auch nicht unbedingt die erste bin, die helfend eingreift. Andererseits ist die Polizei zu rufen, wenn man bemerkt, dass etwas falsch ist, doch das mindeste. Ich bin aber auch ehrlich froh, noch nicht selbst in sol einer Situation gewesen zu sein. Die Menschen, die das Ganze „beobachten“, wissen nicht richtig, ob etwas passiert ist, und ob man dann tatsächlich mal nach unten geht und nachschaut… auch das kann ich mir nicht bei vielen Menschen wirklich vorstellen.

      Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie dir der Akt der Gewalt zusagt, wenn er es von der Wunschliste auf deine Leseliste geschafft hat!

      Gefällt 1 Person

  3. Das andere gewisse Situationen schwer einschätzen können, steht außer Frage. Aber so viel ist klar ersichtlich und die Mehrheit schaut weg – ich erwarte oder wünsche mir nicht mal einschreiten, wenn die Person dadurch selbst in Gefahr gerät, doch Polizei rufen sollte dann zu mindestens getan werden. Oder eben selbst einschreiten, hatte bereits ein, zwei Situationen – war aber dabei auch nicht allein unterwegs und wusste, das diese mit eingeschritten wären oder die Polizei gerufen hätten. Gerade deshalb bin ich nun wirklich neugierig auf dieses Buch geworden. Mal schauen, wann es einzieht – das Lesen an sich sei mal dahingestellt, aber du kennst solche Booknerd Problems ja 😉

    Gefällt 1 Person

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