Wenn aus Büchern Schätze werden.
Philly versteckte sich atemlos hinter dem mit dunkelbraunem Samt bezogenenen Sessel im Wohnzimmer. Sein schmaler Brustkorb hob und senkte sich rhythmisch und seine Knie zitterten in einem ganz eigenen Takt. Vorsichtig linste er um die Armlehne herum. Sie waren noch da! Aufgereiht in zwei Reihen standen sie Schulter an Schulter und blickten finster in seine Richtung. Mit einem leisen Stöhnen verschwand Phillys Kopf wieder hinter dem Sessel. Was sollte er nur tun?
Fünf Minuten waren vergangen, seit er das letzte Mal für einen kurzen Moment einen Blick riskiert hatte. Die große Standuhr am anderen Ende des Raumes schlug bereits zur nächsten vollen Stunde. Sechs Uhr. Was hatte ihn nur dazu getrieben, so früh am morgen herunter zu kommen, fragte er sich nicht zum ersten Mal. Wenn er doch einfach nur in seinem Bett liegen geblieben wäre, wenn er nur den Geräuschen der Nacht gelauscht hätte, anstatt aufzustehen und nach Mr Pepper zu schauen. Dem ging es bestimmt bestens! Er war nur aus seinem Käfig geklettert, weil ihm langweilig war. Was sollte ihm schon passiert sein? Er, Philly, hätte den Dingen einfach ihren Lauf lassen sollen. Wenn er doch nur … Plopp!
Was war das? Das Geräusch hörte sich viel zu laut in seinen Ohren an, die sich schon längst an die Stille des noch schlafenden Hauses gewöhnt hatten.
Plopp!
Da, schon wieder! Die Neugier war stärker als die Angst, und Phillys Gesicht erschien erneut hinter der Sessellehne. Jetzt standen sie gar nicht mehr so stramm da. Irgendetwas musste vorgefallen sein. Philly ließ den Blick schweifen. Im Augenwinkel konnte er gerade noch erkennen, wie ein winzig kleiner Schatten davonwetzte. Das Klacken der Krallen knisterte in seinen Ohren. Mr Pepper! Nun erkannte Philly auch, dass zwei der Soldaten umgefallen waren. Einer von ihnen sah seltsam nass und angekaut aus, der andere lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Ihre Kameraden schienen nicht mehr ganz so entschlossen, und vorallem nicht mehr ganz so finster zu blicken. Ob sie nun ebenfalls Angst hatten? Auf Phillys Gesicht breitete sich ein fröhliches Grinsen aus. Alles in allem war er eben doch ein fünfjähriger Junge, der Kummer schnell vergaß.
Er fasste sich ein Herz, ermuntert durch Mr Peppers mutige Rettungsaktion – denn nichts anderes konnte es schließlich gewesen sein! – und krabbelte vollständig aus seinem Versteck hervor. Mit einer Hand angelte er nach seinem Pantoffel, mit der anderen stützte er sich an der Lehne ab, die ihm fast bis zur Schulter reichte. Mit wildem Brüllen drückte er sich hoch und nach vorne und warf mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, seinen Schuh wie einen Wurfstern nach den Soldaten. Drei erwischte er umgehend, bevor die anderen registrierten, dass aus ihrem Opfer ein mutiger Held geworden war. Dann stoben sie auseinander. Mit wild klopfendem Herzen fischte Philly bereits nach dem zweiten Pantoffel, als ihn unvermittelt ein Lichtschein traf. Gelbes, warmes Licht fiel auf seine nackten Füße.
„Philly? Schätzchen, was in Gottes Namen machst du hier für einen Lärm?“
Seine Mutter kam ins Zimmer, den geblümten Morgenmantel eng um sich geschlungen. Der linke Fuß verfehlte nur mit knapper Not einen der Soldaten, der rücklings auf dem Boden lag, das Gewehr noch kampfbereit erhoben. Ihre Augen blickten müde von ihrem Sohn zu der Bescherung zu ihren Füßen. „Meinst du nicht, dass es etwas zu früh ist, um mit deinen Zinnsoldaten zu spielen?“
„Aber Mummy, die Soldaten waren hinter Mr Pepper her!“, begann Philly eifrig zu erklären. Spielen, pah! Das hier war Krieg gewesen!
„Mr Pepper? Der sollte wohl auch besser in seinem Käfig bleiben“, sagte seine Mutter lächelnd. „Du hast eine blühende Fantasie zum frühen Morgen, mein kleiner Krieger.“ Sie gähnte herzhaft und griff nach der Hand ihres Sohnes. „Na komm, ich mach uns Frühstück.“
Seine Mutter konnte sagen, was sie wollte, Philly wusste genau, was er gesehen und erlebt hatte. Das war doch Mal ein richtiges Abenteuer!
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Heute habe ich eine Geschichte geschrieben, bei der das Ende bereits vorgegeben war.
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Weitere Teilnehmer sind:
Schön. 😅 Kinder haben eine beneidenswerte Art vollkommen in ihre Fantasien eintauchen zu können.
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Daran denke ich auch zuweilen sehr wehmütig zurück! 😀 Man ist ja mittlerweile doch irgendwie schon zu sehr in der Realität angekommen.
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Liebes! Diese Geschichte ist dir wieder ausserordentlich gut gelungen! ❤ Einfach wundervoll und so fantasievoll ❤
Danke dir für diese Geschichte!
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Freut mich, dass dir Phillys kleines Abenteuer gefallen hat =) ❤
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Liebste Gabriela,
du hast mir mit der Geschichte vom abenteuerlustigen Philly den Tag versüßt! ❤ Die Kinderfantasie macht gerne mal aus dem Schatten der Möbel und Spielsachen lauernde Monster und lebendige kleine Krieger! 😀 Für Philly ist ja zum Glück noch mal alles gut gegangen. 🙂
Ida ❤
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Meine liebste Ida ❤
Und wer weiß, vielleicht sind die Soldaten ja doch zum Leben erwacht, und nur das Eintreffen der Mutter hat den Zauber beendet? DAS weiß wohl nur Philly allein. 😀 ❤
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Was für eine schöne Geschichte! Erinnert mich von der Atmosphäre her an „Nussknacker und Mausekönig“ und das Ballett dazu, an die Nacht vor Weihnachten, wo sich Realität und Magie vermischen. 🙂
Liebe Grüße
Alina
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Danke dir! 😊 Tatsächlich hatte ich beim zweiten Lesen ähnliche Gedanken wie du! Kein Wunder auch, ich liebe den Nussknacker 💕
Liebe Grüße!
Gabriela
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