[Historischer November] Edita Morris – Die Blumen von Hiroshima

Werbung | Autor: Edita Morris | Titel: Die Blumen von Hiroshima |
Erscheinungsdatum: 1963 | Verlag: Fischer |
164 Seiten | Genre: historischer Roman |

Bewertung: 5 von 5.
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Ach, es gibt viele Dinge in Hiroshima, die du lieber nicht „kapieren“ solltest, guter Sam-san! Plötzlich komme ich mir hundert Jahre älter vor als du. Du bist so unschuldsvoll, du hast noch nicht hinter unsere Mauer gesehen, hinter unseren Schutzwall. Um deinetwillen hoffe ich, dass du Hiroshima verlassen wirst, ohne mehr von dem zu erfahren, was hinter jener Mauer ist, als was die übrige Welt weiß.

(S.41)

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schnörkel

Inhalt

Am 6. August 1945 explodierte der Himmel über der japanischen Stadt Hiroshima. Binnen Sekunden starben zwischen 70.000 und 80.000 Menschen, innerhalb weniger Wochen wuchs diese Schätzung der Todesopfer auf bis zu 166.000 an. Die Blumen von Hiroshima beschäftigt sich mit dem Leben der Überlebenden – die Hibakusha – dieses tragischen Attentats, vierzehn Jahre danach.

Rezension

Ein Mahnmal

Die Autorin Edita Morris ist eine in Schweden geborene Wahlamerikanerin. Nach dem zweiten Weltkrieg ging sie mit ihrer Schwester Ira nach Japan, um den Opfern der Atombombe auf Hiroshima zu helfen. Sie eröffnete 1957 ein „Haus der Ruhe“ für die Überlebenden und kam so mit vielen von ihnen ins Gespräch. In ihrem Roman Die Blumen von Hiroshima gibt sie nun der fiktiven Yuka Nakamura eine Stimme, stellvertretend für so viele, die auch Jahre nach dem Fall Hiroshimas noch immer mit den Folgen zu kämpfen haben.

Es ist 1959. Yuka plaudert in fröhlichem Tonfall mit uns Lesern, sie spricht mit ihrem Vogel, sie denkt über den Alltag nach. Da ergibt sich die Chance, einen Untermieter für ein paar Tage aufzunehmen. Sam, ein junger Amerikaner, ist für kurze Zeit geschäftlich in Japan unterwegs. Während Yukas jüngere Schwester strikt gegen die Amerikaner zu sein scheint, hält Yuka sich und ihre Gefühle eher bedeckt. Sie denkt an das zusätzliche Geld, denkt daran, ihre Familie damit ein paar Tage lang besser durchbringen zu können. Und Sam macht es ihr auch nicht schwer, ihn gernzuhaben. Ihn, der doch zu dem Volk gehört, das sie und ihre Stadt, ihre Mitmenschen, vor vierzehn Jahren verbrannte.

Der Ton Yukas bleibt fröhlich, doch ihre Geschichte zeigt Risse. Verletzungen, innere und äußere, die sie vor dem Hero-san, wie Sam freundlich bezeichnet wird, verbergen wollte, kommen langsam aber sicher ans Tageslicht. Da wären zum Beispiel die beiden Nachbarinnen, die Yuka zur Toilette begleiten muss. Toilette, was in diesem Fall ein leerstehendes Haus in einer Seitenstraße bedeutet. Denn die Überlebenden der Atombombe leben in Ghettos, fernab der neu aufgebauten Stadt. Sie werden von neuen Hiroshimanern gemieden, sie sind stigmatisiert, gelten als unrein. Und das trifft auf viele von ihnen sogar irgendwie zu, innerlich. Die Spätfolgen der Atombombe kann keiner zu diesem Zeitpunkt genau absehen, Kinder von Überlebenden werden mit Entstellungen geboren. Frauen werden von Familien abgelehnt, die dieses Risiko nicht für sich und ihren Sohn eingehen wollen.

Es ist eine harte Wahrheit, die sich uns in diesem Buch auf so zarte, beinahe poetische Weise enthüllt. Japan selbst hat sich viele Jahre lang geweigert, die Strahlenerkrankungen vieler anzuerkennen, die nicht unmittelbar am Abwurfsort zugegen waren. Amerikanische Ärzte untersuchten die Opfer zwar, halfen aber nicht. Und nun werden sie von ihren eigenen Mitmenschen als Aussätzige behandelt, rücken in ihrem kleinen Kreis näher zueinander und helfen sich. Und so wie auch Sam langsam aber sicher begreift, wie es tatsächlich um die Menschen steht, die einen der schlimmsten Tage der Menschheit überstanden haben, so begreifen auch wir Leser es. Und nur die zarte Schönheit der hoffnungsvollen Worte Yukas ermöglichen es, dass man dies alles ertragen kann.

Fazit

Ein ganz wunderbares Buch, sofern man etwas als wunderbar bezeichnen kann, das mit einer so ungeschminkten Wahrheit aufwartet. Wunderbar in den Tönen, wunderbar in den Bildern der blühenden Kirschbäume, die den Menschen Hoffnung schenken. Hoffnung darauf, dass man niemals die Gräuel dieses Verbrechens vergessen wird.

Bewertung im Detail

Idee ★★★★★ ( 5/5 )

Handlung ★★★★★ ( 5/5 )

Charaktere ★★★★★ ( 5/5 )

Sprache ★★★★★ ( 5/5 )

Emotionen ★★★★★+★ ( 6/5 )

= 5 ★★★★★


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5 Comments on “[Historischer November] Edita Morris – Die Blumen von Hiroshima

  1. Huhu,
    eine sehr schöne, emotionale Rezension. Die Atombombenabwürfe sind ein Thema, für dass ich mich auch immer wieder interessiere. Es ist in vielerlei Hinsicht eine Katastrophe und doch hat sie kaum Stellenwert heute. In Japan selbst sich die Opfer Aussätzige und in den USA wird der Abwurf noch immer vielerorts als Heldentat gefeiert. Dieses Kriegsverbrechen (und ja meiner Meinung ist es genau das) müsste noch viel mehr aufgearbeitet werden, von beiden Seiten.

    Zu dem Thema kann ich auch das Buch „Als die erste Atombombe fiel: Kinder aus Hiroshima berichten“ von Hermann Vinke empfehlen. Wenn man das gelesen hat, kann man das nur noch als Kriegsverbrechen sehen.

    Liebe Grüße, Sandra

    Gefällt 1 Person

    • Liebe Sandra!
      Ich werd mir deinen Tipp auf jeden Fall anschauen, hätte im Gegenzug auch noch „Schwarzer Regen“ parat, Autor ist mir allerdings gerade entfallen 🤔

      Gerade der Umstand, dass die Überlebenden als Aussätzige behandelt wurden und werden, das ist mir ganz besonderes sauer aufgestoßen. Als ob sich irgendwer dieses Schicksal ausgesucht hätte.

      Liebe Grüße!
      Gabriela

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  2. Liebe Gabriela,
    vielen Dank für diese Empfehlung! Das Buch werde ich mir auf jeden Fall merken müssen… Und auch das Leben der Autorin und ihre Motivation, es zu schreiben, haben mich sehr beeindruckt beim Lesen deiner Rezension. Ich interessiere mich sehr für Japan und seine einzigartige, teilweise tragische Geschichte und befürchte, dass ich beim Lesen dieses Buches auch sehr emotional werden würde.
    Und da du auch ein Lied dazu geteilt hast, mache ich das jetzt hier im Kommentar auch. 🙂

    U2 – „The Unforgettable Fire“

    Nachdenkliche Grüße
    Alina

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    • Liebe Alina!
      Ich bin froh, dass ich dir mit diesem kleinen Büchlein etwas neues zeigen konnte. Die Geschichte Hiroshimas und besonders die der Überlebenden sollte auf keinen Fall in Vergessenheit geraten, dabei helfen Morris‘ Worte definitiv. Deinen Songtipp schau ich mir gleich mal an, danke dir 🙂

      Alles Liebe!
      Gabriela

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  3. Pingback: Rückblick auf den November – Buchperlenblog

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