
Werbung | Autor: Stephen King | Titel: Frühling, Sommer, Herbst und Tod |
Übersetzung: Nora Jensen |
Erscheinungsdatum: 1984 | Verlag: Heyne |
520 Seiten | Genre: Novellensammlung |

Und dann kommt der Zug, und vielleicht hat ihn der große Scheinwerfer hypnotisiert, bis er nicht mehr zur Seite springen konnte. Oder vielleicht lag er vor Hunger zusammengebrochen auf den Gleisen, als der Zug kam. Wie auch immer, Chris hatte es richtig ausgedrückt: Rums, und aus war’s. Der Junge war tot.
(S.368 | aus Die Leiche)


Inhalt
Stephen King sagt: Nach einem längeren Roman schreibt er gern eine Novelle, etwas, das länger als eine Kurzgeschichte ist, aber doch nicht zu einem ganzen Roman aufgebauscht werden kann. Etwas, um die Gedanken zu ordnen, um zur Ruhe zu kommen.
Vier Jahreszeiten hat ein Jahr, und vier mehr oder weniger passende Novellen, die genau so entstanden sind, finden sich nun also in diesem Buch.
Frühlingserwachen: Pin Up (Hope Eternal Springs: Rita Hayworth and the Shawshank Redemption)
Sommergewitter: Der Musterschüler (Summer of Corruption: Apt Pupil)
Herbstsonate: Die Leiche (Fall from Innocence: The Body)
Ein Wintermärchen: Atemtechnik (A Winter’s Tale: The Breathing Method)
Zwei dieser Geschichten kennt man dank ihrer Verfilmungen, doch auch die beiden anderen laden dazu ein, sie näher kennenzulernen.
Rezension
4 Mal mehr als reiner Horror
Da haben wir ihn nun, den zweiten Sammelband king’scher Kurzgeschichten, die einmal mehr beweisen, dass es der Autor drauf hat, mehr als nur reinen Horror zu schreiben. Natürlich findet sich der ein oder andere grässliche Wesenszug in seinen Geschichten, aber das Monster unterm Bett suchen wir hier vergebens.
Der Jahreszeitenzyklus beginnt mit dem Frühling. Pin-Up dürfte wohl unter seinem filmischen Titel Die Verurteilten besser bekannt sein. Der Gefängnisinsasse Red erzählt uns die Geschichte eines Mithäftlings, nämlich Andy Dufresne. Dieser zurückhaltende Mann ist fest davon überzeugt, zu Unrecht angeklagt und verurteilt worden zu sein. Doch anstatt nun Stress mit Wärtern und anderen Häftlingen zu suchen, geht er lieber seinem früheren Beruf des Bankers nach und macht sich so nach und nach einen Namen unter den Angestellten von Shawshank. Schlussendlich ist diese Geschichte eines schlau durchdachten Ausbruchs aus einem Gefängnis zwar interessant, riss mich aber erzählerisch nicht wirklich von den Füßen. Mir war Reds Erzählung an manchen Stellen einfach zu wirr und unstrukturiert.
Dagegen fand Der Musterschüler bei mir sehr großen Anklang. Diese äußerst brutale, gefährliche Geschichte zog mich an, machte mich von sich abhängig, wie auch die Protagonisten schlussendlich. Hier haben wir ein Zweiergespann aus einem altem und einem jungen Mann, ja Todd Bowden ist beinahe noch ein Knabe als alles beginnt. Dieser ist hinter das Geheimnis des Alten gekommen, erpresst ihn damit und fordert schlimme Details aus dessen Nazi-Hintergrund ein. Dabei müssen beide mit der Zeit spüren, dass manche Geheimnisse lieber im Verborgenen geblieben wären, und dass einige Ereignisse früherer Zeiten noch immer Gewalt über die eigenen Fantasien haben.
Die Leiche ist die dritte Geschichte in diesem Band und für mich ein bisschen wie Heimkommen zu einem Club der Verlierer, der zur Entstehungszeit der Geschichte noch gar nicht existent war. Nun, vielleicht könnte man sagen, Stephen King übte sich an der Gruppe Kinder hier, um seinen legendären Clown-vernichtenden-Club später so überragend darstellen zu können. Einer der vier Jungs hört durch Zufall, dass man die Leiche eines anderen Jungen in ihrem Alter gefunden hätte, weit weg und doch nah genug, um dort hinwandern zu können. Kurz entschlossen finden sich die Jungs zusammen und treten den Weg an. Die Geschichte ist eher ein Erwachsenwerden, denn ein Ausblick auf das Finden einer Leiche. Ich wanderte gern mit den Kindern durch die Wälder Maines, an den Bahngleisen entlang, wollte nicht, dass sie die Leiche finden, wollte sie davor bewahren, aus ihrem kindlichen Wesen schlüpfen zu müssen und sich der harten Realität dieser Welt zu stellen.
Die Atemtechnik stellt sich als Wintermärchen vor, und in gewisser Weise ist sie das auch. Denn gemeinsam mit dem 73-jährigen David Adley begeben wir uns zurück in die 70er Jahre. Damals fand er Zugang zu einem Club, dem vorsätzlich ältere Herren beiwohnen, gemeinsam trinken und sich Geschichten erzählen. An Weihnachten ist diese Geschichte immer besonders schaurig, und eine davon gibt uns Adley am Ende auch wieder. Ich mochte die Atmosphäre dieses Clubs sehr und all diese angedeuteten Absonderlichkeiten, wie etwa unauffindbare Autoren in den Bücherregalen, seltsame Geräusche aus den oberen Geschossen und allen voran der gruselig anmutende Butler Stevens, der unter der glatten Oberfläche womöglich ein monströses Wesen verbirgt. All das hatte es mir sehr angetan. Umso trauriger war ich, als ich keines der Geheimnisse am Ende lüften durfte. Die Hoffnung bleibt, dem Club 249 B zu einem späteren Zeitpunkt einen erneuten Besuch abstatten zu dürfen.
Fazit
Eine gelungene Sammlung an Novellen, die mal mehr und mal weniger schaurig daherkamen. Was Stephen King hier allerdings mal wieder eindeutig beweist, ist seine exzellente Gabe der Beobachtung. Kaum jemand stellt Menschen, ob Jung oder Alt, so detailliert dar, wie es King kann – und dafür liebe ich ihn.
Bewertung im Detail
Idee ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Handlung ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Charaktere ★★★★★ ( 5 / 5 )
Sprache ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Emotionen ★★★★★ ( 5 / 5 )
= 4.4 ★★★★
weitere Meinung
Powerschnute | Lesenmachtglücklich


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