Endlich kann ich dir schreiben, ich weiß, du wartest schon voller Ungeduld auf einen Brief von mir. Mein Aufbruch von Zuhause war alles andere als organisiert, aber die Umstände verlangten schnell nach Handlung. Also habe ich nur das nötigste gepackt und mich auf den langen Weg nach Neuseeland gemacht. Wochenlang trotzte ich den Gefahren auf offener See, kämpfte mit Krankheit und Wellengang. Und nun bin ich hier, schreibe dir aus einem kleinen Zelt auf einer der Bountyinseln. Wir sind nur zu zweit, der Professor und ich. Wir und die felsige Schönheit der kleinen Insel. Der Kerzenvorrat geht zur Neige, und so kalt es auch hier ist, oft lasse ich das Zelt offen, um den Mondschein nutzen zu können.
Nun wirst du dich fragen, was macht der verrückte alte Kerl bloß an diesem entlegenen Flecken der Erde? Was treibt ihn dazu, sein ruhiges Leben abzubrechen? Nun kann ich es dir ja verraten: Pinguine sind der Grund, liebe Freundin! Und nicht irgendwelche, nein. Wir sind den Kronenpinguinen auf der Spur, jenen Wasservögeln, deren Anzahl von Jahr zu Jahr immer weiter schrumpft. Jetzt ist bei ihnen die Brutzeit eingetreten, und der Professor will versuchen, so viel wie möglich über diesen Lebensabschnitt in Erfahrung zu bringen, damit in Zukunft diese putzigen Gesellen besser geschützt werden können. Ich dagegen nutze meinen Aufenthalt, um zu zeichnen. Blatt um Blatt fülle ich mit den Gestalten, dem Haarputz und anderen Auffälligkeiten der Tiere. Ich möchte sie dir unbedingt bei meinem nächsten Besuch zegen! Mein letztes Tintenfass leert sich bereits, und ich hoffe, dass mit dem nächsten Schiff eine frische Ladung ankommen wird, denn sonst …
Bitte entschuldige die Unterbrechung, auch wenn du sie in geschriebener Form kaum wahrnehmen wirst. In den letzten Stunden wurde es ungemein hektisch bei uns. Der Professor trat in mein Zelt und rief: Wir müssen ihnen helfen! Wir müssen ihnen helfen!
Nun, du kennst ihn nicht, aber glaube mir, wenn ich sage, der Professor neigt selten zu solchen Gefühlsausbrüchen, wenn sie nicht von absoluter Dringlichkeit wären. Ich ließ also alles stehen und liegen, zog mir Mantel und Schal über und stürzte nach draußen in die mondhelle Nacht. Der Professor eilte schon voraus und ich folgte seinen Fußstapfen im frischgefallenen Schnee. Der schwankende Schein seiner Laterne erhellte den felsigen Untergrund nur schemenhaft und ich hatte meine liebe Not, ohne einen verdrehten Knöchel hinter ihm herzusteigen. Unser Weg führte uns nah heran an die Kolonie der Kronenpinguine. Überall herrschte aufgeregtes Geschnatter, und an den Uferklippen drängten sich einige der imposanten Geschöpfte dicht zusammen, während sie einen Kampf um Leben und Tod beobachteten.
Schwer atmend blieb der Professor ebenfalls am Abgrund stehen und deutete mit seiner Laterne über die schäumenden Wellen am Fuße der Klippen. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, doch das Wasser war tiefrot. Zuerst glaubte ich an finstere Omen und Hexenkünste, doch dann sah ich, was die Farbe des Todes zu bedeuten hatte. Zwei kleine Kronenpinguine, noch mit dem Flaum der Jugend bedeckt, trieben hilflos in den Fluten. Eine kleine Gruppe von Schwertwalen schwamm um sie herum und machte hier und da beinahe spielerische Vorstöße, wie Katzen es mit Mäusen zu tun pflegen. Die beiden Küken krähten jämmerlich, und die aufgeregte Schar Pinguine neben uns schrie zurück, doch keiner wagte es, sich ebenfalls in die Fluten zu stürzen, den sicheren Tod vor Augen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Professor mich an, sein Blick flehend, sein Gesicht verzerrt vor Aufregung. „Wir müssen ihnen helfen, sehen Sie denn nicht?“ Aber was sollten wir tun? Dann kam mir ein Gedanke: Wir mussten die Wale ablenken! Ich deutete auf umliegende Felsbrocken,und der Professor verstand. Schnell klaubten wir einige Steine auf, holten Schwung und warfen sie in die Fluten. Doch das schien die Schwertwale nicht weiter zu kümmern, sie zogen ihre Kreise immer enger um die beiden Jungtiere. In einem verzweifelten letzten Versuch, entriss ich schließlich dem Professor die brennende Laterne und schleuderte sie in hohem Bogen in das Meer. Ich weiß nicht, warum, aber vielleicht erschreckte die Wale das plötzliche Licht, denn sie tauchten ab. Nun war es der Professor, der mich überraschte. Mit einem lauten Schrei sprang er der Laterne hinterher und schwamm mit kräftigen Zügen zu den beiden hektisch kreischenden Pinguinen. Vermutlich hielten sie den Menschen für einen weiteren Feind, denn einer der beiden Pinguine tauchte ab. Der andere war wohl bereits an einer seiner Flossen verletzt, und trieb weiter an der Oberfläche herum. Der Professor riss ihn an sich und schwamm mit dem zappelnden Ding unter dem Arm ans rettende Ufer. Ich sprang hinzu, streckte die Arme aus und half ihm schließlich an Land. Der kleine Pinguin lag auf einer Felsen, blutig und erschöpft, doch er war gerettet. Den zweiten, der sich unter Wasser versuchte zu retten, sahen wir nicht wieder.
Der Professor liegt mit einer bösen Erkältung in seinem Zelt, der kleine Pinguin hat mit verbundener Flosse neben ihm Stellung bezogen. Es ist ein Geschenk des Himmels, dass er überlebt hat. Ich habe den kleinen Mann Fred getauft, was hältst du davon? Der Professor und ich hoffen, dass wir ein zartes Band der Freundschaft zu ihm aufbauen können, so dass er uns in die Geheimnisse seines Lebens einweiht, wenn er erwachsen wird. Einige Kronenpinguine umringen unseren Zeltplatz, wahrscheinlich warten sie darauf, dass Fred zu ihnen zurückkehrt.
Ich höre ein Krächzen, Fred wird hungrig sein. Ich beende nun meinen Bericht, und hoffe, er erreicht dich bei bester Gesundheit! Anbei eine Zeichnung von Fred, die ich dir beifüge.
Ist er nicht allerliebst?



Der Writing Friday ist eine Aktion von readbooksandfallinlove! Jeden Monat gibt es neue Schreibaufgaben, denen man sich widmen kann.
Heute habe ich eine Geschichte geschrieben, in der die Worte Geschenk, Pinguin, Tintenfass, ruhig, zart vorkommen. Habt ihr sie alle gefunden? 🙂
*Quellen der Fotos: Wikipedia
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