Wenn aus Büchern Schätze werden.
Intensiver Einblick in die Psyche eines Mannes, der manchmal nicht er selbst zu sein scheint.
Werbung | Autor: Cordt Winkler| Titel: Ich ist manchmal ein anderer |
Erscheinungsdatum: Februar 2019 | Verlag: Goldmann | 233 Seiten | Genre: Sachbuch |
Eine Überschrift lautete heute „Fahrstuhl zum Schafott“ oder so ähnlich. Plötzlich war ich davon überzeugt, ich müsse sterben. Es war, aus einem rational nicht nachvollziehbaren Grund, klar, dass ich der Adressat dieser Zeilen war.
(S.39)
Cordt Winkler erhält mit Anfang zwanzig die erschütternde Diagnose: paranoide Schizophrenie. Schon sein Vater litt sein Leben lang darunter und nun hatte diese Krankheit auch ihn befallen. In Ich ist manchmal ein anderer schildert er seinen Weg von der ersten psychischen Episode bis heute, einem beinahe freien Leben.
Schizophren. Dieses Wort ist so negativ behaftet, dass ich mir bisher kaum Gedanken über dessen Bedeutung gemacht habe. Schizophren, das sind doch die Menschen, die völlig wahnhaft handeln. Oder nicht? Doch, auch. Aber nicht nur.
Dank seiner Geschichte lernte ich Cordt Winkler kennen, einen jungen Mann, der schon früh an Schizophrenie erkrankt. Von seinem Vater kennt er die Symptome und erschreckt umso mehr, als er ähnliches bei sich feststellen muss. Er verliert in manchen Situationen komplett den Überblick, wird von wirren Gedanken befallen und tut Dinge, die er sonst womöglich nicht tun würde. Immer wenn er eine Tüdelüt-Episode (so nennt er diese Zeiten) durchlebt, wirft er zum Beispiel sein Handy weg. Er legt es auf einen Stein, auf ein Fenstersims, egal wohin, und geht davon. Auch mit Kleidung verhielt es sich schon so. Ebenso bestimmen Zwangshandlungen diese Phasen. Wenn er nicht tanzte, würde er sterben. Wenn er aufhören würde zu schreiben, würde er sterben. Einmal strandet er in Italien, läuft tagelang in größter Verwirrung durch die Straßen und steigt in Züge ein und wieder aus, bis er endlich in ein Krankenhaus kommt.
Cordt Winkler beschreibt sein Leben von der Diagnose bis zum heutigen Tag, zeigt die Wege die er allein ging, und die, die er mit Freunden und Therapeuten bestritt. Er erzählt von der ständigen müde machenden Medikation und wie er sie immer wieder abzusetzen versuchte. Die Einblicke in sein Leben und die Psychosen sind tief, und es ist umso erstaunlicher an wie viel er sich rückblickend erinnern kann. Auch ist der Tonfall ein beschwingter, kein betrübter. Teilweise sehr lakonisch erinnert er sich an so manchen Zwischenfall.
Es ist ein wirklich interessantes Buch, das über eine Krankheit Aufschluss gibt, wo Fachliteratur scheitert – es zeigt den Menschen dahinter. Und ich freue mich, dass er einen Weg gefunden hat, um diese Krankheit, wenn schon nicht zu besiegen, dann zumindest einzudämmen. Und dass er Freunde hat, die zu ihm halten, auch in schweren Zeiten.
Fernab der Klischees, die das Wort Schizophrenie in den Köpfen der Menschen hervorruft, steckt dahinter eine hinterhältige Krankheit, die möglicherweise nicht komplett heilbar, aber doch zumindest eindämmbar ist. Und die, das sieht man an Cordt Winkler, nicht dazu führen muss, dass diese Menschen vom Leben ausgeschlossen werden.
Idee ★★★★★ ( 5 / 5 )
Handlung ★★★★★ ( 5 / 5 )
Charaktere ★★★★★ ( 5 / 5 )
Sprache ★★★★★ ( 5 / 5 )
Emotionen ★★★★★ ( 5 / 5 )
= 5 ★★★★★
Herzlichen Dank an den Goldmann Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares!
Ein interessantes Buch und eine tolle Rezi dazu! Ich finde es so super, dass du dich auch solchen Themen immer wieder annimmst!!!!
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Dankeschön :)) Ich find es einfach wichtig, auch in andere Richtungen, die mich vllt nicht persönlich betreffen, die Fühler auszustrecken. Und ich fand Cordt Winklers Art wirklich toll, wie er mit seinem Leben umgeht.
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Schöne Rezension! Ich lese das Buch auch gerade.
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Und, wie ist deine Einschätzung bisher?
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Sehr gut , vor allem finde ich es sehr mutig , ich stelle mir das nicht einfach vor über so eine Krankheit zu schreiben, schon gar nicht wenn es einen selbst betrifft. Wir brauchen mehr solche Bücher. Schizophrenie gehört leider noch zu den Tabuthemen der Gesellschaft.
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Finde ich auch, zumal es eben kein anprangerndes Buch ist, sondern eines, was vllt auch Erkrankten Mut machen kann.
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Ja, ich glaube auch für Angehörige kann das Buch wirklich hilfreich sein
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Kein falscher Gedanke, aber leider ist das nicht der Fall. Es würde zu sehr triggern und zudem kriegen Angehörige es ja leibhaftig mit und müssen kein Buch darüber lesen. Eine schreckliche Krankheit, die leider auch jeden von uns treffen kann.
Liebsten Grüße
Mia
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Also ich finde das hängt von den Menschen ab. Manchen kann das Buch durchaus hilfreich sein und das Gefühl geben , man ist nicht allein. Andere brauchen darüber kein Buch lesen. Ich persönlich gehöre zu denen, die sich über solch ein Buch freuen würden. Und ich weiß aus Erfahrung, dass Angehörige und Kranke sich mit Leuten, die das gleiche Schicksal haben, besser verstehen. Schizophrenie ist eine schlimme Krankheit, ja , aber man kann einen Weg finden damit zu leben und das zeigt das Buch.
Liebe Grüße
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Du würdest dich darüber freuen? Liegt vielleicht auch daran, dass du niemanden im engen Kreis hast, der an Schizophrenie erkrankt ist. Ich kenne das Buch. Ich kenne den Autor und ich kenne Schizophrenie aus nächster Nähe. Einen Weg finden damit zu leben ja, aber du lebst dann ein anderes Leben. Vielleicht bin ich auch der falsche Ansprechpartner. Ich weiß, was es heißt jemanden an diese Krankheit zu verlieren. Ich will dir damit auch gar nicht zu nahe kommen, aber wenn man es selbst nicht erlebt hat, dann kann man sich das auch nur schwer vorstellen, egal wie viele Bücher man darüber gelesen hat. Die Realität hautnahe ist immer eine andere und wenn es dann einen Menschen betrifft, den du liebst, dann hilft dir auch kein Buch mehr mit diesem Schmerz umzugehen. Aber große Klasse, dass es hier rezensiert wurde. Ich werde da sicher auch noch etwas zu schreiben und auch zu dem Thema an sich. Liebste Freitagsgrüße und ein nice weekend:-)
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