Wenn aus Büchern Schätze werden.
Damit hatte Lukas nicht gerechnet, als er sah, wie das Glas vor seinen Augen zerbrach. Wie gebannt konnte er seinen Blick nicht von dem langen, gezackten Riss lösen, der sich einmal über die gesamte Wölbung der Kugel in seinen Händen erstreckte, der immer länger wurde und schließlich mit einem leisen Knacken auseinander brach.
Vor Schreck hätte er beinahe die Glaskugel fallen gelassen. „Was hab ich getan?“, flüsterte er. Giftgelber Rauch stieg aus dem Loch und kroch in Lukas‘ Nase, seine Augen tränten und er spürte ein Niesen ganz hinten im Rachen. Der Rauch roch unangenehm nach Schwefel, doch der junge Mann konnte seinen Kopf nicht zurückziehen. Ihm wurde schwindlig und er schloss für einen Moment die Augen, gab sich der Illusion hin, sich das Geschehen nur eingebildet zu haben. Etwas zog und zerrte an ihm, doch die Rauchschwaden lullten ihn ein und er wehrte sich nicht.
Er lag auf dem Boden. Noch immer hielt er seine brennenden Augen geschlossen, doch er spürte trockenes Gras unter seinen Händen. Moment. Hielt er etwa nicht mehr die Glaskugel fest? Ruckartig öffnete Lukas die Augen und schloss sie sofort wieder, als sich ein kristallklarer Schmerz in seinem Kopf ausbreitete.
Als er das nächste Mal erwachte, öffnete er seine Augen nur einen Spalt. Helles Licht schien den Himmel über ihm zum Gleißen zu bringen.Tief atmete Lukas die abgestanden wirkende Luft ein, seine Hände griffen links und rechts seines Körper in die Ähren wilden Weizens. Als er sich sicher war, dass ihn nicht wieder dieser unbekannte Schmerz übermannen würde, öffnete er erneut seine Augen. Über ihm erstreckte sich ein milchig weißer Himmel, der an manchen Stellen sein eigenes Licht zu reflektieren schien. Hier und da konnte er Schlieren erkennen, die vielleicht Wolken hätten sein können. Aber Lukas wusste es besser.
Denn hoch oben, über seinem Kopf, sah er den Riss. Ein langer, gezackter Streifen, der an den Rändern schwefelgelb leuchtete. Dort wo sie auseinander klafften, war nichts als Dunkelheit. Pechschwarz schien sie ihn zu verhöhnen. Das hast du nun von deiner Neugier, schien sie zu sagen. Hättest du die Glaskugel nicht ausgegraben, hättest du sie nicht geschüttelt und poliert, hättest du nicht die magisch eingravierten Worte vorgelesen. Lukas schalt sich selbst einen Narren, wenn er über die letzten Augenblicke nachdachte. Alles in ihm schien zu kribbeln, doch er hatte nicht auf die Warnsignale seines Körpers hören wollen. Nun lag er also hier, in dieser Glaskugel. Ein Schatten verdunkelte das gleißende Weiß des Glasdaches. Lukas kniff die Augen zusammen und versuchte etwas in diesem Schatten zu erkennen. Die Schwärze hinter dem Riss schien sich noch zu vertiefen. Da, ein kurzes Aufblitzen von riesigen weißen Augäpfeln in der Finsternis.
„Was ist mit mir passiert?“, rief Lukas mit kehliger Stimme den Augen entgegen. Der Rauch hatte sich in seinem Rachen niedergelegt, sein Rufen kam nur als leises Krächzen heraus. Trotzdem schien es, als hätte die Gestalt auf der anderen Seite ihn gehört, denn ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen, und ein dröhnendes Lachen brauste über Lukas hinweg. Doch eine Antwort bekam er nicht. Als das Lachen abebbte, hörte Lukas ein leises Knirschen und Knacken, ein Reiben von Glas auf Glas.
Er sprang auf, spröde Weizenkörner stoben nach allen Seiten von ihm ab. Der Riss schließt sich! Lukas ignorierte den Schmerz in seinem Körper, er rannte über verbrannte Erde, ausgedorrte Weizenfelder, den Blick immer nach oben gerichtet. Den Stein, über den er schließlich stolperte und der Länge nach hinfiel, sah er nicht. Als sein Kopf die Erde berührte, wurde es für einen Moment dunkel um ihn herum. Mit letzter Kraft wälzte er sich auf den Rücken, der Riss war nun genau über ihm. Glasstaub rieselte auf ihn herab, während sich die gezackten Linien schlossen, Stück für Stück. Er konnte nichts dagegen tun, er konnte nur hier liegen und seinem Schicksal dabei zu schauen, wie es gegen ihn arbeitete. Als die Glaskugel vollständig repariert war, erlosch das Licht des Himmels. Erst wurde es ein zartes Rosa, dann ging es in ein leuchtendes Orangerot über. Lukas blinzelte. Schon wurde aus Rot ein dunkles Violett, dann Mitternachtsblau. Dann Schwarz.
Er war gefangen. Gefangen in einer Glaskugel, in der ewige Nacht herrschte.
Wie lang würde es dauern, bis ein Neugieriger die Glaskugel fand und ihn befreite? Ihn befreite, um seinen Platz einzunehmen?
Der Writing Friday ist eine Aktion von readbooksandfallinlove! Jeden Monat gibt es neue Schreibaufgaben, denen man sich widmen kann. Dieses Mal lautete die Aufgabe, eine Geschichte mit den Worten Damit hatte Lukas nicht gerechnet, als er sah, wie… zu beginnen. Na, wärt ihr auch so neugierig wie Lukas gewesen? Also, ich schon.
Ihr wollt mehr schreiben und braucht einen Anreiz? Dann schaut vorbei!
Weitere Teilnehmer
Oh die Idee gefällt mir sehr gut. 👍 Ich hoffe Lukas kommt irgendwann wieder raus. 😊
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Danke! Vllt findest du ja seine Glaskugel irgendwann? 😄
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Tolle Geschichte, echt gut geschrieben! 🙂
Ich habe auch schon mit dem Writing Friday geliebäugelt, weil er länger ist, aber ich möchte nicht jede Woche schreiben müssen … dafür habe ich die Etüden. 😦
Liebe Grüße
Christiane
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Dankeschön! 🙂
Oh eine schwere Entscheidung – vllt kannst du dir ja aber einen Freitag im Monat für einen WF freihalten?
Liebe Grüße!
Gabriela
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Für mich liest sich die Aufforderung wie JEDE WOCHE. Eine Rosine pro Monat würde ich dagegen bestimmt unter den Themen finden.
Hab ich da was falsch verstanden?
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Nö, jeder so wie er gern mag und kann, hauptsache Freitags veröffentlichen. Manchmal mag man ja auch paar Themen einfach nich 🙂
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Huhu,
ach du meine Güte, wie fies! Die Idee ist wirklich genial, aber ich kann nicht anders als Mitleid mit Lukas haben. Der Arme war doch eigentlich nur neugierig. Das hätte ich sein können, ich bin auch viel neugieriger als mir guttut. Und dann wird er auch noch von der Person ausgelacht, die vorher darin gesteckt hat. Wie gemein! Aber ich schätze nach einer Weile in so einer Glaskugel wird man irgendwie fies. Hoffentlich muss Lukas nicht allzu lang darin bleiben. Auch wenn das für den nächsten irgendwie gemein ist. Ach je.
Auf jeden Fall eine geniale Geschichte!
Liebe Grüße
Lee.
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Huhu Lee!
Vielen lieben Dank 🙂 ich wäre genau wie du ebenfalls in die Glaskugel gefallen, fürchte ich. Ich bin auch so schrecklich neugierig immer 😄
Liebe Grüße!
Gabriela
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Huch!! Was für eine tolle Idee, und so atmosphärisch umgesetzt. Ja, damit konnte Lukas einfach nicht rechnen. Das in der Kugel ewige Dunkelheit herrscht, ist besonders grausam.
Ich hoffe, wenn der nächste kommt und Lukas befreit, dass dieser dann, wenn er einmal draußen ist, das ganze Ding einfach zerschmettert und so dem Kreislauf ein Ende setzt…
Liebe Grüße
Daniela, der Buchvogel
#WritingFriday: Von Rennschnecken und schwangeren Gläubigen – Vielen Dank für deinen Besuch bei mir!
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Ohja ich würde vermutlich den Verstand verlieren, wenn ich in ewiger Dubkelheit eingesperrt werden würde 😮 Hoffen wir, dass Lukas seinen behält und wirklich umsichtig handelt!
Liebe Grüße!
Gabriela
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Liebes, da ist dir wieder ein wunderbarer Beitrag gelungen! Welch tolle und spannende Idee! Gerne hätte ich gewusst wie Lukas an diese Glaskugel gekommen ist und wie lange der Arme wohl nun drin gefangen ist 😀
Hab ein tolles Wochenende ❤
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Wenn ich genauer drüber nachdenk, möchte ich das vllt besser gar nicht wissen 😄 lieben Dank Liebes! ❤ Genieß die Zeit! 😘
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Liebe Gabriela,
wow, die Geschichte ist der Wahnsinn! Die Stimmung darin hat mich richtig gefangen genommen. Ich hoffe, irgendwann ist jemand neugierig genug, um ihn dort wieder herauszulassen… ein Leben in ewiger Dunkelheit muss furchtbar sein! Ich werde mich also in Zukunft vor Glaskugeln hüten 😉
Liebste Grüße,
Ida
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Huhu Ida!
Hehe danke! Die Glaskugel war ja gar nicht böse, bis Lukas voller Neugier die geheimnisvollen Worte auf ihr vorgelesen hat 😄
Liebste Grüße!
Gabriela
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Oh ha, eine verstörende Vorstellung in einer Glaskugel gefangen zu sein bis der nächste Neugierige des Weges kommt. Zum Glück aber ist der Mensch seiner Natur gemäß ja überaus neugierig und so denke ich nicht, dass der Gute Lukas lange in der Kugel verweilen muss 🙂
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Außer irgendwer plaudert das Geheimnis der Kugel aus und niemand nähert sich ihr.mehr freiwillig 😅
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Liebe Gabriela,
du hast mich mit deiner Geschichte wieder in einer anderen Welt versinken lassen. Deine Beschreibungen, die Atmosphäre, die du schaffst – und dieses bedrohliche Ende. Armer Lukas.
Liebe Grüße,
Anna
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Liebe Anna!
Schön, dass ich dich erneut mitnehmen konnte! Ich hoffe wirklich, dass Lukas nich für immer in der Glaskugel gefangen sein wird!
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Liebe Gabriela,
was für eine abgefahrene Idee. Ich frag mich manchmal, was bei dir alles im Kopf herumschwirrt, dass du auf solche großartigen Ideen kommst!
Liebe Grüße,
Janika
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Huhu liebste Janika! 😄
Ich werte das als großes Kompliment! Mein Kopf ist ziemlich proppevoll mit Kuriositäten, da sammelt sich sehr viel an mit der Zeit – irgendwann bricht es dann einfach heraus 😄
Liebste Grüße! 💕
Gabriela
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Auf jeden Fall! Das war nichts anderes als ein Kompliment 💕
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Hallo,
deine Geschichte gefällt mir sehr gut zu der Aufgabe. Da könntest du bestimmt noch einiges mehr draus machen. Mich hast du auf jeden Fall neugierig gemacht. 😉
Liebe Grüße
Diana von lese-welle.de
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Huhu!
Na das hör ich gern 😄 es ist immer schön, noch ein paar Ideen zum weiter ausbauen in der Hinterhand zu haben 🙂
Liebste Grüße!
Gabriela
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Oh ja, ich wäre auch neugierig gewesen! Auch wenn ich anfangs den Palantír vor Augen hatte, muss die Kugel in Deiner Geschichte ja von ganz anderer Art gewesen sein!
Der Moment, als Lukas im Feld aufwacht und Helligkeit um sich herum sieht, erscheint mir fast harmonisch, wäre da nicht der dunkle Riss.
Vielleicht ist in der Kugel ein eigene kleine schöne Welt? Zu gönnen wäre es Lukas.
Meinen Beitrag mit Lukas gibt es hier: https://nebumonsterchen.wordpress.com/2018/04/13/writingfriday-aufgabe-15-aus-april-unverhofft-kommt-oft/
Ich würde ich freuen, wenn Du vorbei schaust!
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Hallo! 🙂
Was ist denn der Palantir? Der Begriff sagt mir gar nichts 🙂
Vllt gibt es wirklich eine schöne Welt in der Kugel, da allerdings ewige Nacht herrscht, muss etwas vorgefallen sein, was das Gleichgewicht zerstört hat.
Ich schau mir deinen Beitrag gern an! 🙂
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