
„… und deshalb sind wir auch nach 50 Jahren noch so glücklich miteinander.“
Zuerst gab es da diese unnatürliche Stille. Keiner der anwesenden Gäste sagte etwas, einige schienen sogar das Atmen zu unterdrücken. Philip neben mir jedoch schnaufte vernehmlich. Ich warf ihm einen Blick zu, sein Gesicht war verräterisch rot, als versuche er seit längerem ein Lachen zurück zu halten. „Was ist so witzig?“, wollte ich zischend von ihm wissen. Schließlich hatten meine Großeltern nicht gerade einen urkomischen Witz gerissen, sondern vor der gesamten Familie aus dem Nähkästchen geplaudert. Ich spürte, wie ich selbst dunkelrot anlief.
Eigentlich sollte das heute ein Fest der Liebe sein. Der Liebe zwischen meiner Großmutter und meinem Großvater, goldene Hochzeit, 50 Jahre verheiratet. Und nun ließen sie hier so eine Bombe platzen! Der letzte Kuchenkrümel hing mir noch immer im Hals, und ich versuchte ihn hinunterzuschlucken. Doch er hing da, klebrig und unangenehm, wie die Erkenntnis, dass die Ehe meiner Großeltern seit so vielen Jahren eine Farce war. Eine offene Beziehung! Automatisch kommen in mir Bilder von Hippie-Komunen und Flower-Power-Zeiten nach oben, die ich nicht mit meinen Großeltern vereinbaren kann. Wie konnten sie mir und meiner Familie nur solch eine Blamage antun! Hätten sie doch nur geschwiegen, hätten sie doch nur das Geheimnis mit in ihr Grab genommen.
Wir sind schließlich nicht irgendwer. Meine Familie trägt ihren Namen mit Stolz, und nun ist unser guter Ruf dahin. Wer weiß, vielleicht haben einige der Gäste das Geheimnis bereits in die sozialen Medien hinaus getwittert, so schnell wie heute alles geht. Dahin unser Ruf einer konservativen Familie, die die Traditionen in allem aufrecht erhält. Dahin unser familienbewusstes Bild nach außen. Dahin …
„Ach Ally, jetzt zieh nicht so ein Gesicht.“
Philip neben mir stieß mir seinen spitzen Ellenbogen in die Rippen.
„Es ist doch wirklich witzig! Einer so verstockten Familie wie euch hätte ich so etwas gar nicht zugetraut.“ Er grinste mich immer noch breit an. „Aber man sagt ja immer, stille Wasser sind tief.“
Am liebsten hätte ich in diesem Moment mit irgendetwas nach ihm geschlagen und ihn angeschrien. Ihn betraf es doch genau so wie mich! Als mein Ehemann ziert der untadelige Ruf meiner Familie ebenso seinen Namen, wie meinen. Nicht zu vergessen auch unsere kleine Emma. Ein Glück ist sie noch nicht alt genug, um die ganze Tragweite dieses desaströsen Geheimnisses zu verstehen. Nicht auszumalen, wie sich erst die Eltern ihrer Freunde und dann ihre Freunde selbst sich von ihr abwenden werden, wenn publik wird, dass sich die Gründer der traditionellen Familienklinik für seelischen Zusammenhalt gerne mit anderen vergnügt haben – mit bestem Wissen und Gewissen des Ehepartners!
„Ally, du siehst aus, als wäre es das Ende der Welt. Aber vielleicht …“
„Ich weiß, was du sagen willst, mein Lieber, aber es interessiert mich nicht. Sie hätten es nicht öffentlich machen dürfen! Sie hätten es gar nicht erst machen dürfen! Sie hätten nicht…!“ Ich geriet so sehr in Rage, dass ich kaum mitbekam, dass es noch immer um mich her still war. Doch nun starrten sie mich alle an, mich, nicht die eigentlichen Schwerenöter. Die Röte kroch unaufhaltsam meinen Hals hinunter, und mir war, als könnte man mein Herz hinter der weißen Bluse schlagen sehen. Ja, verstanden sie denn nicht, wie ich mich fühlte? Ärgerlich wandte ich den Blick von den Gästen ab und sah Emma auf mich zukommen. Sie streckte mir ihre kleinen Hände entgegen und ich nahm sie in die meinen. Emmas blaue Augen waren unverwandt auf mich gerichtet, als sie sich auf meinen Schoß setzte und sagte: „Aber Mama. Ist es nicht egal, was sie taten, solange sie beide glücklich dabei waren?“
Ich sah sie an, mein kleines Mädchen, und begriff. So jung sie noch war, doch sie hatte genau erfasst, was mir entfallen war, aus Angst um unseren Ruf. Es kam tatsächlich nicht darauf an, wen man liebte, oder mit wem man zusammen ist. Es kommt auch nicht immer nur auf den Ruf an. Sondern darauf, dass man glücklich ist, allein und zusammen.
Ich drückte Emma an mich und konnte nur mit Anstrengung die Tränen unterdrücken, die mir in die Augen schossen. Aus Scham. Aber auch aus Glück, dafür, dass meine Großeltern ein gutes Leben zusammen hatten. Ich griff nach der Hand meines Mannes neben mir und drückte sie ebenfalls. Wir werden ebenfalls unseren Weg finden, um miteinander glücklich zu bleiben. Doch nicht diesen, Gott bewahre!
Der Writing Friday ist eine Aktion von readbooksandfallinlove! Jeden Monat gibt es neue Schreibaufgaben, denen man sich widmen kann. Heute habe ich darüber geschrieben, wie es sein könnte, wenn man von den eigenen Großeltern erfährt, dass sie eine offene Beziehung führen.
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