Wenn aus Büchern Schätze werden.
Bewegend, aufrüttelnd, grauenhaft – die Wahrheit hinter einer Scheinwelt
Werbung | Autor: Donna Freitas | Titel: Einvernehmlich |
Übersetzung: Frauke Brodd |
Erscheinungsdatum: März 2023 | Verlag: btb |
368 Seiten | Genre: Lebensbericht
Der bloße Anblick des Umschlags auf meinem Couchtisch erfüllte mich mit einem so abgrundtiefen Grauen, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich sein Ausmaß je zum Ausdruck bringen kann. Worte reichen nicht aus. Andererseits, hätte ich nicht mein Sprachvermögen nutzen sollen? Hätte es nicht ganz einfach sein sollen, das Wort „Nein“ laut und deutlich, glasklar und glockenrein auszusprechen?
(S.13)
Donna Freitas ist eine junge Frau, die in ihrem Studium aufblüht. Schon immer hat sie ihre Lehrer und Professoren mit Fragen gelöchert, mit Ideen überhäuft, stand ihnen auf intellektueller Ebene nahe. So auch anfangs bei dem einen Professor, den sie an ihrer Hochschule kennenlernt, der besonders wichtig für ihr Fachgebiet ist. Doch dieser entwickelt eine äußerst toxische Besessenheit zu ihr, die ihr Leben auf dem Campus und auch außerhalb zu einer Hölle macht, deren Ausmaße sie ihr ganzes Leben begleiten werden.
Anfang zwanzig wechselt Donna Freitas für ihr Studium der Philosophie an die Gratuate School, eine sehr angesehene katholische Universität. Und zunächst scheint alles gut zu laufen, sie hat einen guten Draht zu den Professoren, von denen nicht wenige ebenso das Amt eines Priesters wie auch das eines Professors bekleiden. So auch Father L., mit dem sie sich im Laufe des ersten Semesters auf intellektueller Ebene anfreundet, seinen Rat sucht.
Doch während er für Donna einfach der nette, viele Jahre ältere Professor ist, entwickelt L. nach und nach offenbar tiefergehende Gefühle für sie. Er fängt an, ihr nachzustellen. Hier eine Einladung ins Theater, da ein zugesteckter Zeitungsartikel über ihre Lieblingssportmannschaft. Dann beginnen die unangemeldeten Besuche, die ständigen Anrufe. Die Briefe. So viele Briefe. Und Donna, die lange Zeit sich einzureden versucht, dass sie seine Absichten falsch versteht, ja, falsch verstehen muss – er ist doch schließlich ein im Zölibat lebender Priester! – Donna, die sich lange Zeit niemandem anzuvertrauen traut, frisst diese Erfahrungen immer mehr in sich hinein, bis es kein Entkommen mehr vor ihm zu geben scheint.
Was Donna Freitas damals in den 90ern zugestoßen ist – und was auch heute noch viel zu vielen Menschen widerfährt – ist einfach nur als widerwärtig zu bezeichnen. Diese innere Zerrissenheit, die zwischen den Zeilen anklingt, dieses Misstrauen in das eigene Urteilsvermögen, dieses Denken „Er wird ja nicht körperlich übergriffig, so schlimm kann es also eigentlich doch nicht sein“, das lässt einen als Leser immer wieder das Gesicht verziehen. Weil es so nachvollziehbar ist und doch so falsch.
Ihre Abhängigkeit vom Wohlwollen dieses Mannes, der für ihr Studium und ihren beruflichen Werdegang so wichtig ist, im krassen Gegensatz zu dem Wunsch, niemals wieder etwas von ihm zu hören oder zu sehen, und diese strikte Weigerung von L, auch nur eines ihrer vielfältigen Neins zu akzeptieren, all das macht Donnas Geschichte zu einem hinabreißenden Strudel. Auch, was danach passiert, als sie nicht mehr schweigt, ist nicht besser. Es gibt Menschen, die helfen wollen, ja. Aber es gibt auch viele, die das vielschichtige Fehlverhalten des Professors unter den Teppich kehren wollen – und auch werden.
Nach wie vor ein äußerst wichtiges Thema, dem mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, damit weniger Menschen mit solchen Verhaltensmustern durchkommen. Denn die psychischen Schäden der Opfer und Überlebenden sind kaum in Worte zu fassen.
Handlung ★★★★★ ( 5 / 5 )
Atmosphäre ★★★★★ ( 5 / 5 )
Sprache ★★★★★ ( 5 / 5 )
= 5 ★★★★★
Herzlichen Dank an den btb Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
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