Wenn aus Büchern Schätze werden.
Eine Liebeserklärung an die Magie der Worte
Werbung | Erscheinungsdatum Erstausgabe: 22.09.2015 Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Flexibler Einband 223 Seiten Genre: Roman
Im Waggon trat allmählich Stille ein. Hier und da zischte noch jemand ungehalten „Pst!“, bis auch die letzten Gespräche erstarben. Guylain räusperte sich. Und dann begann er, so wie jeden Morgen, laut vorzulesen.
(S.12)
Guylain Vignolles liebt Bücher von ganzem Herzen. Aber er geht dem denkbar ungeeignetsten Beruf für einen solchen Menschen nach: er arbeitet in einer Recycling-Firma und bedient tagein, tagaus die Bestie, ein riesiges Papiervernichtungssystem. Doch hier, zwischen all dem Dreck, dem Verdruss und den zerplatzten Träumen liegen sie verstreut: Einzelne Seiten aus Büchern, die der Maschine nicht zum Opfer fielen. Und genau diese steckt Guylain Vignolles heimlich ein.
Guylain Vignolles: vertauscht man die ersten Silben seines Vor- und Nachnamen, erhält man „dummer Kasper“, kein sehr schmeichelhafter Spitzname. Sein Leben lang gehänselt, verkriecht er sich in einem unscheinbaren Leben. Doch Guylain macht das Beste daraus, indem er den Menschen etwas sehr wertvolles gibt: Die Magie des Vorlesens.
Denn die einzelnen Seiten aus Büchern, die er findet, die trocknet er liebevoll, hebt sie auf und trägt sie in einer Mappe immer mit sich. Und wenn sich die U-Bahn-Türen am Morgen geschlossen haben, wenn er auf seinem angestammten Platz sitzt, wenn ihm die anderen Menschen zuhören, dann liest er sie vor. Fragmente aus Romanen, Kurzgeschichten, Beobachtungen, Gedichte, ja, sogar Rezepte finden Gehör in dem Morgentaumel der Stadt.
Als er eines Tages einen USB-Stick in der U-Bahn findet, ändert sich für ihn alles. Denn auf diesem Stick befinden sich Tagebucheinträge einer Frau, die er schon bald näher kennenlernen will.
Während des Lesens schwebte eine Art Zauber über mir, die Magie des Vorlesens hatte auch mich ergriffen und ganz oft fragte ich mich, wie es wohl wäre, einen Guylain in meiner Bahn zur Arbeit sitzen zu haben. Einen Menschen, der, ungeachtet seiner Umgebung, einfach nur vorliest. Keinen ganzen Roman, jemand, der mir nur einen flüchtigen Einblick gibt in eine Geschichte, deren Titel ich nicht kenne und vermutlich nie herausfinden werde, der mir Tipps zu einem Kuchen gibt, den ich nie backen werde. Und ich war und bin nach wie vor begeistert von dieser Idee! Stellt euch vor, ihr könntet euch jeden Tag aufs Neue in Geschichten ziehen lassen, einen Moment Stillstand genießen und einfach nur zuhören.
Die Figuren waren mir allesamt sehr sympathisch, angefangen von Guylain, über seinen in Versen sprechenden Freund Yvon, oder aber Giuseppe, der Mann, dessen Job nun Guylain übernommen hat, nachdem die Bestie Giuseppes Beine fraß und zu Papierbrei zerlegte. Und über allem liegt ein französischer Hauch von Magie.
Wer nun auf den Geschmack gekommen ist, dem lege ich auch direkt noch Macadam – oder Das Mädchen aus Nummer 12 ans Herz, denn hier sind sie versammelt, die angerissenen Geschichten, die Fragmente des Vorlesers. Und noch einige Geschichten mehr!
Ein wunderbar leichter Roman, der einer Liebeserklärung an die Magie der Geschichten gleichkommt. Leicht und französisch entführt er uns einen Moment aus unserem Alltag, hinein in einen märchenhaften Augenblick.
Idee ★★★★★ ( 5 / 5 )
Handlung ★★★★☆ ( 4 / 5 )
Charaktere ★★★★★ ( 5 / 5 )
Sprache ★★★★★ ( 5 / 5 )
Emotionen ★★★★☆ ( 4 / 5 )
= 4.6 ★★★★★
Jean-Paul Didierlaurent – Macadam oder Das Mädchen aus Nummer 12
Mir haben beide Bücher auch sehr gut gefallen 🙂
Liebe Grüße ♥
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Das freut mich, sie sind so schön zum abtauchen 🙂
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Ich habe ebenfalls beide Bücher verschlungen! Eine schöne Rezension und solch eine kleine zauberhafte Geschichte (=
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Lieben Dank! 🙂 Das sind so Bücher, die kann man auch immer mal wieder lesen, denk ich 🙂
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Die Sehnsucht der Vorlesers ist mir mal auf der Buchmesse begegnet, das Buch habe ich zwar nie gelesen, aber das Cover habe ich nie mehr vergessen.
Liebe #litnetzwerk Grüße
Daggi
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Na dann solltest du vielleicht das nächste Mal zugreifen, wenn sich die Chance ergibt 🙂
Liebe Grüße!
Gabriela
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