[Rezension] Fritz Mertens – Ich wollte Liebe und lernte hassen!

Ein erschütternder Lebensbericht eines zum Unglück verurteilten Menschen.

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Werbung | Erscheinungsdatum Erstausgabe: 01.02.1989 | Verlag: Diogenes

Flexibler Einband 331 Seiten | Genre: Autobiographie

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Pappa blieb tatsächlich die ganze Woche weg, und Mutti hörte auf zu arbeiten. Pappa kam nur am Wochenende nach Hause, und da gab es auch immer Streit genug. Erst erzählte Mutti, was wir alles angestellt hätten die Woche über, und wir bekamen ab und zu noch eine Sondertracht Prügel mit Pappas Hosengürtel, die sich gewaschen hat.

(S. 108)

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Inhalt

Fritz Mertens hat zwei Menschen ermordet. Sein Leben beschreibt der 20-jährige aus dem Gefängnis heraus in diesem Bericht. Es ist eine wahre Geschichte, die kaum an seelischer Grausamkeit übertroffen werden kann. Ein Bericht über kollektives Versagen in der Erziehung eines menschlichen Wesens.

Rezension

Niemand ist von Natur aus böse. Es sind die äußeren Umstände, die Erziehung, die Umgebung, der Umgang, der uns zu den Menschen macht, die wir sind. Es ist das, was wir in frühester Kindheit lernen, was uns prägt. Den einen mehr, den anderen weniger. Doch wie viel hält eine menschliche Seele aus?

Fritz Mertens, ein Pseudonym. Der Name steht für einen jungen Mann, der aufgrund zweifachen Mordes verurteilt werden soll. Doch vorher wird er von seinem Psychologen dazu aufgefordert, sein früheres Leben zu beschreiben, um das Strafmaß festlegen zu können. Dieser Bericht wurde später in kaum veränderter Form einem Verlag übergeben, denn er erzählt auf erschütternde Weise, wie fahrlässig Menschen mit ihrer Verantwortung gegenüber Kindern umgehen können.

Fritz Mertens ist der älteste Sohn der Familie, nach ihm folgen noch drei weitere Kinder. Die Eltern führen ein wenig geregeltes Leben, wechseln häufig ihre Jobs, kommen gerade so über die Runden. Der Vater ein Säufer und Schläger, die Mutter wechselt zwischen Täter- und Opferrolle hin und her. In diesem Haushalt geht es – gelinde gesagt – ruppig zu. Ohrfeigen und Schläge mit dem Gürtel sind alltäglich, jedes kleinste Vergehen wird streng geahndet. Fritz bekommt als Ältester das meiste ab. Er fungiert als Spielball zwischen seinen Eltern, wird des Verrats der Mutter an den Vater bezichtigt, bekommt Schläge von beiden Seiten. Die Kinder werden zur Arbeit in den immer wieder aufkeimenden Familienbetrieben gezwungen, zur Schule gehen sie unregelmäßig. Wenn es dann schlechte Zensuren gibt, hagelt es wieder Schläge.

Schonungslos erzählt Mertens von den grausamen Jahren seiner Kindheit und Jugend, die mit zunehmendem Alter nicht besser werden, nein, er selbst beginnt abzugleiten, hat er ja die schlechten Angewohnheiten der Eltern ja tagtäglich vor Augen. Ich fand es bemerkenswert, wie lange er sich aufrecht halten konnte, wie lange er versucht hat, mit diesem Leben klarzukommen, mit der täglichen Erniedrigung, wie er versucht hat, das Beste daraus zu machen, und wie er trotz allem zu seinen Eltern, ganz besonders zu seiner Mutter, stand. Dass er die Tat, auf die hier nicht weiter eingegangen wird, begangen hat, wundert mich wenig. Mich wundert es nur, dass es nicht seine Eltern traf.

Der Stil ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, denn Mertens ist es nicht gewohnt, zu Schreiben oder zu Erzählen. Er verwendet Redewendungen, um seine Gefühle zu beschreiben, er wiederholt sich, er gleitet ab. Doch genau das macht diesen Bericht so lesenswert, so echt. Es ist, als säße er vor dir, als erzähle er dir seine Geschichte. Und du musst zuhören, Wort um Wort, Schlag um Schlag. Ich war froh, als es vorbei war, ich war froh, dass ich dieses Leben keine 20 Jahre aushalten musste.

Fazit

Beklemmend, erschreckend, grausam. Und leider so wahr, dass man nicht die Augen verschließen sollte, denn es gibt diese Familien. Vielleicht hilft dieser Bericht dabei, Anzeichen zu erkennen und den Kindern zu helfen, die diese Hilfe dringend benötigen, bevor es zu einer solchen Tat kommt.

Bewertung im Detail

Idee ★★★★★ ( 5 / 5 )

Handlung ★★★★★ ( 5 / 5 )

Charaktere ★★★★☆ ( 4 / 5 )

Sprache ★★★★☆ ( 4 / 5 )

Emotionen ★★★★★ ( 5 / 5 )

= 4.6 ★★★★★

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Vielen Dank an den Diogenes Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares!

5 Comments on “[Rezension] Fritz Mertens – Ich wollte Liebe und lernte hassen!

  1. Pingback: Rückblick auf den Mai – Buchperlenblog

    • Dankeschön! Am schlimmsten – so im Nachhinein betrachtet – war wohl auch vor allem der fast schon gleichgültigeTon, mit dem Fritz von der allgegenwärtigen Gewalt erzählt.. Weil er nichts anderes kennt. Das war richtig finster.

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  2. Pingback: Rückblick auf den Juni – Buchperlenblog

  3. Pingback: Rückblick auf den Juli – Buchperlenblog

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