[Rezension] Neige Sinno – Trauriger Tiger

Triggerwarnung: sexueller Missbrauch

Werbung | Autor: Neige Sinno | Titel: Trauriger Tiger |
Übersetzung: Michaela Meßner |
Erscheinungsdatum: September 2024 | Verlag: dtv |
304 Seiten | Genre: Lebensbericht | 

Bewertung: 5 von 5.

Wissen, dass niemand einen anzeigen wird. Und geschieht es eines Tages doch, so dreist sein zu lügen, oder so dreist sein die Wahrheit zu sagen, es frank und frei zuzugeben. Sich ungerecht behandelt fühlen, wenn man dafür eine mehrjährige Haftstrafe bekommt.

(S.8)

Inhalt

Neige Sinno erzählt in diesem Buch über ihre Kindheit mit der nichtsahnenden Mutter, den drei jüngeren Geschwistern – und ihrem Stiefvater, der sie jahrelang sexuell missbrauchte.

Rezension

Es fällt immer schwer, ein Buch in die Hand zu nehmen, von dem man weiß, dass einen das Gelesene so schnell nicht wieder loslassen wird. Noch schwerer fällt es, nach dem Lesen darüber zu schreiben, es womöglich auch noch bewerten zu wollen, denn wer ist man, die persönliche Erfahrung eines Menschen zu beurteilen.

Aber es ist wichtig, sich hin und wieder auch mit den realen Ungeheuern der Welt auseinander zu setzen, es ist wichtig, dass Geschichten wie die von Neige Sinno gehört und gelesen und besprochen werden. Es ist wichtig, dass sexueller Missbrauch generell und vor allem im Kindesalter kein Tabuthema ist.

Die Autorin weiß, dass manche – auch jene, die diese Erfahrungen selber machen mussten – diese Art von Büchern lesen und sie nach expliziten Beschreibungen des Missbrauchs förmlich durchsuchen. Und man findet sie auch hier, diese expliziten Beschreibungen. Aber selten, eingestreut. Hier eine Erwähnung eines Kellers, da die erste Erinnerung im Alter von sieben Jahren. Oder neun. Die Jahre verschwimmen in der Erinnerung der Autorin, das ganze Ausmaß des Traumas kommt nur langsam zum Vorschein. Was wir aber ebenfalls in diesem Buch finden, ist der Versuch einer Annäherung an das gesamte Thema auf ganz andere Art und Weise. Neige Sinno nimmt immer wieder Bezug auf literarische Werke, vergleicht die Täter darin mit ihrem eigenen Stiefvater, fragt sich, wie aus einem Menschen ein Monster werden konnte. Wie jemand in der Lage sein kann, Kindesmissbrauch damit zu rechtfertigen, dass er ja nur so eine Beziehung zu ihr aufbauen konnte. Dass er es so drehen kann, dass sie am Ende schuld hatte daran, weil sie ihn nicht „Papa“ nennen wollte.

Und so umkreisen wir das Thema von allen Seiten, schauen uns Statistiken an, lauschen dem Verhör des Vaters, stehen an der Seite der Geschworenen. Denn Neige Sinno hat schlussendlich Anzeige erstattet, Jahre später, in der Hoffnung, ihre jüngeren Geschwister zu schützen. Abschließen konnte sie damit trotzdem nicht. Wie auch, es wird immer ein grauenhafter Teil ihres Lebens sein, während wir das Buch lesen und beenden und es schlussendlich hinter uns lassen können.

Fazit

Kein einfaches Buch, weder von der Thematik her noch von seinem Aufbau. Es ist ein sehr intelligentes Buch, voller Recherche im realen und im literarischen Bereich und ich hoffe, dass es auch hier viele Leser finden wird. Vielleicht ja auch ein paar von denen, die sich in einem gewissen anderen Genre gerne aufhalten und genau solche Themen aktuell so stark verklären. Diese Dinge sind real. Und sie sollten mit Bedacht behandelt werden.

Vielen Dank an den dtv Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!

2 Antworten zu „[Rezension] Neige Sinno – Trauriger Tiger”.

  1. Avatar von Lydia

    Danke für diese lesenswerte Rezension. Das Thema Kindesmissbrauch braucht so viel mehr Aufmerksamkeit und muss dringend enttabuisiert werden. Wir müssen sehr viel mehr hinschauen, sensibler werden und die Überlebenden für ihren Mut, ihre Geschichte zu teilen, mit Vertrauen und Zuspruch unterstützen. Ich habe Trauriger Tiger direkt auf meine Leseliste gesetzt. ❤

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    1. Avatar von Buchperlenblog

      Da kann ich dir nur absolut beipflichten, genau so sehe ich das auch. Ich hoffe, dass dir die Herangehensweise in diesem Buch an das Thema genauso gefallen wird wie mir! 🙂

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