[Im Rausch der Trilogien] Im Würgegriff der Revolution

Liebe Bücherwürmer!

Willkommen zurück im [Rausch der Trilogien]! Ihr erinnert euch, dieses Mal sind Ida und ich für euch ins kalte Russland gereist und haben große Abenteuer erlebt. Während es bei Ida und ihrer Winternacht-Trilogie märchenhaft im frühen Rus zugeht, schlotterten mir während der 50er Jahre in Russland gehörig die Knie aufgrund der äußerst präkeren politischen Lage.

Jeder kann zum Feind werden

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Geschichtsstunde

Wir erinnern uns: Leo Demidow, unser Protagonist aus der Trilogie, ist Ermittler des MGB, des Ministeriums für Staatssicherheit, kurzum: Der Geheimpolizei der Sowjetunion.

Um die politische Lage des Buches zu verstehen, ist es hilfreich, ein wenig im Geschichtsunterricht aufgepasst zu haben. Bis zum März des Jahres 1917 wurde Russland von einem Zaren regiert. Doch nachdem bereits 1905 eine erste Revolution den Zaren vom Thron stoßen wollte, geschah dies erst während ersten Weltkriegs tatsächlich. Nikolaus II wurde gezwungen, abzudanken, und in Folge dessen wurde eine provisorische Regierung eingesetzt, die jedoch nicht lang an der Macht blieb. Mit Lenins Rückkehr aus dem Exil erstarkten die Bolschewiken zusehends und übernahmen schließlich 1922, nach einem vier Jahre währenden Bürgerkrieg, die Führung der neu gegründeten Sowjetunion.

Nach Lenins Tod 1924 wurde Joseph Stalin sein Nachfolger. Unter diesem Diktator handelt und ermittelt auch Leo Demidow noch 26 Jahre später. Die Lage ist festgefahren. Denn im Sowjetischen Reich existieren nach außen hin keine Verbrechen. Wer etwas anderes behauptet, stellt sich automatisch gegen den Staat und begeht somit Verrat. Natürlich werden dennoch Menschen ermordet, doch die Aufklärung der Fälle kann nur unter größter Geheimhaltung geschehen. Wenn überhaupt. Auch Leo Demidow wird es am Anfang als Aufgabe übertragen, den Mord an einem kleinen Jungen zu vertuschen und als Unfalltod auszugeben. Dass dessen Familie Anklage erhebt, bringt sie fast selbst vors Gericht.

Denunzierungen an der Tagesordnung

Im Laufe der Trilogie wird uns als Leser erst vollends bewusst, wie vorsichtig die Menschen jener Zeit leben mussten. Jede falsche Handlung, jedes falsche Wort, ja, manchmal reichte sogar ein falscher Blick, und man konnte der Staatsfeindlichkeit bezichtigt werden. Leo Demidow selbst soll seine Frau der Spionage bezichtigen, wohlwissend, dass sie keinerlei Verbindungen zu Staatsgegnern hegt. Sich dem Befehl zur Denunzierung zu entziehen, gleicht einem eigenen Todesurteil. Die Allmacht des Staates tropft aus jeder Zeile und nicht selten waren es diese Zustände, und nicht der tatsächliche Mordfall, der mich entsetzt innehalten ließ. Auch, dass der Staat keinerlei Bedenken dabei hatte, die Familienangehörigen gleichsam mit in Verruf zu bringen, fand ich sehr erschütternd. Denn als Leo Demidow selbst verbannt wird, da müssen auch seine Eltern darunter leiden. Den alten Leuten werden jegliche Luxusgüter genommen, die sie dank der Stellung ihres Sohnes hatten. Die eigene Wohnung muss verlassen werden, um in einem fensterlosen Raum, zusammen mit einer anderen Familie zu hausen. Die bessere Stellung des Vaters wird verwandelt in den niedrigsten Posten, den man sich vorstellen kann, und der für einen Mann dieses Alters eigentlich nicht mehr ausführbar ist. All das als Gesamtstrafe für die Weigerung einer Denunzierung.

Wundert es also, dass der Staat unter Stalins Führung diese allumfassende Machtposition besaß? Eigentlich nicht. Auch die Gulags, die Straf- und Zwangsarbeitslager der Sowjetunion, spielen eine wichtige Rolle. Diese Gefängnisse, die ebenfalls politische Häftlinge zu Tausenden beherbergten – zu denen jeder schnell werden konnte – sind völlig überfüllt und menschenunwürdig. Beachtet man, dass diese realen Geschehnisse erst siebzig Jahre zurückliegen, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Erst mit dem Tod Stalins im März 1953 fand man sehr langsam zu einer etwas entspannteren Lage zurück.

Die Reihe um Leo Demidow ist in ihren Fällen weniger spannend, als in der brisanten Darstellung des Landes. Die Sowjetunion, die erst ab 1991 endgültig nicht mehr existierte, war ein Land, dessen Bewohner eigentlich Tag und Nacht Angst haben mussten. Nichts war sicher, alles konnte einem genommen werden. Selbst in den militärischen Abteilungen wurden regelmäßige Säuberungen vollzogen, die sicherstellen sollten, dass niemand über alles Bescheid wusste. Allein für die Darstellung dieser Zeit lohnt es sich, einen Blick in die Bücher zu werfen.

schnörkel


Im Rausch der Trilogien – Eiskaltes Russland

13.01.20    Ida: Katherine Arden – Die Winternacht-Trilogie
14.01.20    Gabriela: Tom Rob Smith – Die Leo-Demidow-Trilogie
15.01.20    Ida: Die uralte Magie der Chyerti
16.01.20    Gabriela: Im Würgegriff der Revolution
17.01.20    Ida:  Lasst uns ein Spiel spielen…
17.01.20    Gabriela: Russisch Roulette

8 Comments on “[Im Rausch der Trilogien] Im Würgegriff der Revolution

  1. Pingback: Im Rausch der Trilogien | Katherine Arden – Die Winternacht-Trilogie – ida's bookshelf

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  3. Pingback: Im Rausch der Trilogien | Die uralte Magie der Chyerti – ida's bookshelf

  4. Liebste Gabriela,
    du hast Recht: da läuft es einem wirklich eiskalt den Rücken runter, wenn man von den Zuständen liest – und es ist noch gar nicht so lange her. Und dann gibt es da noch Orte auf dieser Welt, an denen sowas immer noch an der Tagesordnung ist. Eigentlich undenkbar, und deshalb auch so niederschmetternd und unfassbar traurig.
    Da kann man sich wirklich glücklich schätzen, dass man selber nicht in solchen menschenunwürdigen Verhältnissen aufwachsen musste. Jetzt möchte ich mich am liebsten noch mehr über diese Zeit informieren und ohne Ende recherchieren! ❤

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