[The Story Behind] Spieglein, Spieglein, an der Wand

Liebste Bücherwürmer!

Ich bin ein Mensch, dessen Kindheit von Trickfilmen der besonderen Art geprägt war. Ich wuchs auf mit dem Wissen, an jedem Weihnachtsfest einen weiteren Film über kleine und große Helden, mit viel Gesang und einer guten Prise Herzschmerz dem stetig wachsenden Repertoire heimischer Videokassetten hinzufügen zu können. Die Rede ist – selbstverständlich – von Disney.

Auch heute schaue ich mir die liebgewonnenen Geschichten gerne immer und immer wieder an, singe aus vollem Hals mit und weine um die Verlorenen. Doch mich interessieren nun die Geschichten, die dahinterstecken. Welches Buch war ausschlaggebend für welchen Film? Und wie wurde die Geschichte umgesetzt? Dem möchte ich in dieser Beitragsreihe nachgehen. Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen, suchen wir gemeinsam The Story Behind.

Schneewittchen

Wenn Eifersucht grausam macht

Pünktlich zum Märchenmonat Dezember widmen wir uns heute dem allerersten abendfüllenden Zeichentrickfilm aus dem Hause Disney: Schneewittchen und die sieben Zwerge. Nach den kultigen kurzen Cartoons wie Steamboat Willie oder den Silly Symphonies wollte Walt Disney etwas neues wagen. Er wollte nicht nur fünf Minuten der Aufmerksamkeit seines Publikums, er wollte sie mit magischen Geschichten in seinen Bann schlagen. Vier lange Jahre sollte es dauern, bis endlich 1937 das schöne Schneewittchen die Kinoleinwand betreten durfte. Doch die vielen Arbeitsstunden der über 570 Zeichner haben sich gelohnt, denn wir wissen alle: Hätte es Schneewittchen nicht gegeben, würden wir heute nicht die vielen wundervollen Disneyklassiker im heimischen Regal stehen haben.

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Schneewittchen ©Disney

Die böse Königin ist eifersüchtig auf ihre schöne Stieftochter. Schneewittchen, so sagt ihr verzauberter Spiegel immer wieder, ist tausendmal schöner als sie. Nun soll es der Jäger richten; er soll das Mädchen in den Wald bringen und dort töten. Als Beweis will die Königin ihr Herz. Doch der Jäger bringt es nicht über sich und fleht das schöne Kind an, in den Wald zu fliehen. Bei dieser Flucht gelangt Schneewittchen zum Haus der sieben Zwerge, und nachdem sie dort erst einmal tüchtig aufgeräumt hat, darf sie bleiben.

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Wenn wieder Frühling ist
und mich mein Prinz einst küsst
und ein Vöglein singt, die Hochzeitsglocke klingt
dann hat sich mein Traum erfüllt.

(Schneewittchen)

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Doch der Spiegel weiß, dass sie noch lebt und die betrogene Königin muss selbst eingreifen. Sie braut ein Gift für einen Apfel, der das verhasste Mädchen in einen Todesschlaf versetzt. Der Rest ist bekannt, der singende Prinz kommt und küsst das schlafende Kind, sie erwacht und sie werden glücklich bis an ihr Lebensende.

Aber Moment, ist das nicht aus einem anderen Märchen?

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Märchenmix

Den tödlichen Schlaf, den ersten Kuss der wahren Liebe, das alles kennen wir. Aber war es nicht genau so bei Dornröschen, der ewig Schlafenden? Richtig. Denn Schneewittchens Rettung ist anders beschrieben.

Im Märchenbuch der Gebrüder Grimm fällt aber zuerst noch etwas anderes auf: Schneewittchen ist unglaublich naiv. Wer mag es ihr auch verübeln, ist sie doch erst ein sieben Jahre altes Kind, als sie in den Wald mit dem Jäger geschickt wird. Dieser ist jedoch nicht so gutherzig wie bei Disney, nein, er zögert nicht und hebt das Messer – doch Schneewittchen fleht um ihr Leben und darf schließlich fliehen. Statt ihres Herzens bringt der Jäger der bösen Königin Lunge und Leber eines Schweines, welche diese braten lässt und – in Erwartung der Innereien Schneewittchens – isst.

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Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: Hätt‘ ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen!

(Schneewittchen | Gebrüder Grimm)

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Dreierlei Mord

Auch bei den sieben Zwergen ist es nicht der Großherzigkeit der kleinen Männer geschuldet, dass das junge Ding bei ihnen bleiben kann. Vielmehr verspricht sie ihnen, für sie zu putzen, zu wischen, zu kochen, zu stricken, und zu häkeln, um schließlich aufgenommen zu werden. Hurra!

Doch die Gefahr lauert schon, denn die böse Königin eilt, in Verkleidung einer alten Frau herbei. Sie bietet ein herrliches Band feil, mit dem sie das naive Kind – trotz der eindringlichen Warnungen der Zwerge der Alten freundlich zugetan –  viel zu fest schnürt. Leblos fällt sie nieder, doch die Zwerge können ihr helfen. Der zweite Versuch der Hexe ist ein vergifteter Kamm, mit dem sie das schwarze Haar des unschuldigen Kindes kämmt. Und wieder sinkt sie nieder, und wieder können die Zwerge helfen.

Nun endlich ist Schneewittchen vorsichtiger, denn sie will den vergifteten, rotbackigen Apfel nicht annehmen, den ihr eine weitere alte Frau anbietet. Doch nachdem diese ebenfalls von ihm gekostet hat (oder zumindest von der weißen Seite des Apfels), knabbert Schneewittchen einen Bissen ab und fällt tot hernieder.

Nun können auch die Zwerge nicht mehr helfen, das Mädchen ist tot. Doch sie bauen einen Glassarg und halten Wache bei dem Leichnam der Prinzessin. Da kommt ein junger Prinz daher, der sich Hals über Kopf in die tote Schönheit verliebt. Er lässt den gläsernen Sarg auf sein Schloss bringen, ein Diener stolpert und da fliegt das vergiftete Apfelstück aus der Kehle des Mädchens.

Als die Königin nun aber zur bevorstehenden Hochzeit geladen ist, da bleibt ihr Herz vor Gram und Zorn über das wiederauferstandene Schneewittchen einfach stehen und nun ist sie es, die tot darnieder sinkt.

Ihr seht, auch wenn Disneys Adaption sich in den Grundzügen sehr an dem bekannten Märchen orientiert, so gibt es doch gravierende Unterschiede. Das originale Märchen ist weitaus brutaler, als es Disney zeigen wollte. Und natürlich baut der Zeichentrickfilm auf die Kraft der wahren Liebe. Indem Schneewittchen ihren Prinzen bereits kennenlernen durfte, verbanden sich beide jungen Seelen bereits miteinander, so dass sein Kuss sie schlussendlich erlöste, auch wenn diese Version wirklich sehr an Dornröschen erinnert. Dagegen wirkt der ungeschickte Diener des Prinzen im Märchenbuch doch weitaus weniger romantisch.

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Disneys abendfüllende Zeichentrickfilme im direkten Vergleich zu ihren literarischen Vorlagen:
The Story behind.

Mehr Beiträge zu dieser Reihe gibt es hier:
Cap & Capper: Fuchs und Hund – Freunde oder Feinde?
101 Dalmatiner: Wertvoll gepunktet
Dumbo: Ich hab viel gesehen auf dieser Welt, …!
Bambi: Von Reh zu Hirsch
Aladdin: Der ungeschliffene Diamant
Arielle: Unter dem Meer
Robin Hood: Im wilden Sherwood Forest
Das Dschungelbuch: Dschungelgeschichten
R-E-T-T-U-N-G

 

33 Comments on “[The Story Behind] Spieglein, Spieglein, an der Wand

  1. Für gewöhnlich ziehe ich die Adaptionen den Grimm-Versionen vor, weil die doch manchmal echt fies sind, aber bei Schneewittchen finde ich das Original etwas besser.
    Grüße, Katharina

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  2. Hallo Gabriela,
    schön das du dich mit Schneewittchen beschäftigt hast. 🙂
    Zufälligerweise habe ich vor kurzem mit meinem Krümel den Film auch gesehen und dazu gibt es im Dezember dann auch einen Beitrag dazu. Nur um die neugierig zu machen. 😉
    Aber ich hatte das Ende von Schneewittchen anders im Hinterkopf, war das nicht mit den glühenden Schuhen und die böse Königin tanzt sich zu Tode?
    Oder war das ein anderes Märchen?
    Liebe Grüße
    Diana

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  3. Liebes, es ist immer wieder interessant zu lesen wie unterschiedlich manche Märchen sind! Ich kenne ja nur die Disney Version von Schneewittchen fand diese auch immer bezaubernd! Grimm ist da ja schon inmer etwas düsterer!

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    • Liebste Elizzy ♥ Auch wenn hier die Unterschiede ja doch etwas kleiner ausfallen als bei manch anderen Büchern, ist es doch immer auffällig, dass Disney besonders die liebevollen Aspekte einer Geschichte herausholt und die düsteren etwas zurückstecken müssen 🙂

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  5. Als Kind fand ich es immer SO blöd, dass Schneewittchen die ganze Zeit einfach nur ein Stück Apfel im Hals feststeckte und es kein einziger der Zwerge bemerkte! :’D Fandest du die Disney-Version mit der bösen Hexe als Kind auch so gruselig? Ich musste mich immer hinter dem Sofa verstecken… 😀 ❤

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    • Richtig, da hätte ja mal jemand dahergehen und ihr auf den Rücken klopfen können 😀 Tja, bei den Gebrüdern Grimm war das doch noch ein wenig anders. Die Hexe ist auch heute noch grässlich gruselig mit ihrem Aussehen und Gebahren – der möcht ich auch nicht im finstren Wald begegnen. Obwohl .. dort möchte ich vermutlich gar niemandem begegnen. 😀 ♥

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