[Rezension] Sarah Perry – Melmoth

Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

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Werbung | Autor: Sarah Perry| Titel: Melmoth |
Übersetzer: Eva Bonné |
Erscheinungsdatum: September 2019 | Verlag: Eichborn|
330 Seiten | Genre: Roman |

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Doch eine war dabei, die später leugnete, den auferstandenen Christus gesehen zu haben. Zur Strafe wurde sie verflucht, bis zur Rückkehr des Messias einsam und heimatlos über die Erde zu streifen. In einer Welt, die unvergleichlich böse ist und unvorstellbar niederträchtig, hält sie immerzu nach der Niedertracht und dem bösen Ausschau. Sie stellt sich als Zeugin zur Verfügung, wo es keine Zeugen gibt, um eines Tages erlöst zu werden.

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Inhalt

Das Leben der völlig unscheinbaren Helen Franklin findet eine jähe Wendung, als sie in Prag ein Manuskript mit durchschlagender Wirkung in die Hände bekommt. Bis dahin hatte sie nie den Namen Melmoth gehört, aber nun ist er unwiderruflich mit ihrem Leben verbunden. Doch wer ist diese Melmoth?

Rezension

Schauen Sie!

Es ist mein erstes Buch von Sarah Perry, doch bestimmt nicht mein letztes. Denn wenn die Autorin eines beherrscht, dann auf jeden Fall das atmosphärische Schreiben. Melmoth wohnt auf jeder Seite etwas beklemmendes inne. Alles scheint heruntergewirtschaftet, trist und grau. Die Prager Straßen sind regendurchweicht, der Geruch muffig. Helen, unsere unscheinbare Protagonistin und Zuschauerin der kommenden und vor allem vergangenen Ereignisse, passt sich einwandfrei in diese Gegend ein. Von einem Freund, einem der wenigen die sie hat, bekommt sie das Manuskript eines Verstorbenen, der sich mit einer sagenumwobenen Gestalt beschäftigt hat. Melmoth. Der Name ist biblisch, eine der Frauen, die die Auferstehung Jesus‘ miterlebt haben. Diese jedoch leugnete das Wunder und wurde verdammt. Verdammt dazu, für alle Ewigkeit auf der Erde zu wandeln, mit blutenden Füßen und angefüllt mit einer Einsamkeit, aus der es kein Entrinnen gibt.

Keine sehr berückende Vorstellung, nicht wahr? Diese Frau soll denen erscheinen, die am tiefsten Punkt ihres Lebens angekommen sind. Sie spendet Trost, sie bezeugt das Leid. Aber sie ist auch eigensinnig, nimmt die Lebenden an die Hand und führt sie in ihr eigenes Reich. Das Buch – so wie auch das Manuskript – ist angefüllt mit Episoden aus den Leben verschiedener Menschen. Menschen, die Leid zugefügt haben, Menschen, die Leid ertragen haben. Menschen, wie du und ich, die sich der Sünde schuldig gemacht oder zumindest daran geglaubt haben. Melmoth ist wie das personifizierte Gewissen, das sich in unserer Welt manifestiert und mit dem Finger auf all das Böse zeigt.

Der Stil Perrys ist dabei ein ganz eigener, der mir ausnehmend gut gefallen hat. Der aber wahrscheinlich nicht immer auf Zustimmung treffen wird. Denn Perry behandelt uns Leser mehr als Zuschauer, Beobachter der Szenerie. Mehr als einmal ruft sie uns persönlich an, sagt uns, wonach wir die Augen aufhalten sollen, was wir sehen können, wenn wir nur einmal um diese bestimmte Ecke, hinter jenes Tuch schauen würden. Das macht dieses Buch sehr persönlich, denn wir schauen eben hinter jene Ecke und dieses Tuch, wir lüften Geheimnisse, die wir sonst vielleicht übersehen hätten.

Nur das Ende ging für mich ein wenig am Ziel vorbei, der letzte Teil konnte mich nicht mehr richtig gefangen nehmen. Warum? Ich kann es gar nicht so genau sagen, vielleicht eine Art der Übersättigung an Leid und Elend der Welt. Vielleicht lag es auch am Fehlen der Geradlinigkeit. Denn dank der vielen Episoden aus den verschiedenen Leben, verlor ich zuweilen den Kontakt zu Helen und ihrem eigenen Geheimnis, ihrer Sünde, weshalb sie lebt wie sie lebt. Doch insgesamt ist Sarah Perry mit Melmoth ein schauriges Leseerlebnis gelungen, dessen Thematik noch lange im Geiste zurückbleibt.

Fazit

Schaurig-schöne, nicht besonders leichte Kost. Dem Leser wird viel Leid und Sünde gezeigt, die man nicht immer mit einem einfachen Wink aus den Gedanken verjagen kann. Dabei ist der Stil Perrys außergewöhnlich und lädt dazu ein, Seite um Seite voranzuschreiten auf der Flucht vor Melmoth, der Zeugin. Oder auf der Jagd nach ihr?

Bewertung im Detail

Idee ★★★★★ ( 5 / 5 )

Handlung ★★★★☆ ( 4 / 5 )

Charaktere ★★★★☆ ( 4 / 5 )

Sprache ★★★★★ ( 5 / 5 )

Emotionen ★★★★☆ ( 4 / 5 )

= 4.4 ★★★★

weitere Meinung

Bellas Wonderworld | OceanloveR

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Herzlichen Dank an den Eichborn Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!

10 Comments on “[Rezension] Sarah Perry – Melmoth

    • Ich glaube, dieses Buch ist tatsächlich nicht für jeden gemacht! Ich mochte die Atmosphäre zB sehr, habe aber von anderer Stelle aber auch schon genau das Gegenteil gehört. Manchmal harmoniert es einfach nicht, das ist nicht schlimm. 🙂

      Liebe Grüße!
      Gabriela

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      • Die Atmosphäre war gut getroffen, alleine schon durch das Setting in Prag usw. Aber irgendwas wollte mich nicht erreichen. Ich finds selber total schade!

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  1. Liebste Gabriela,

    du triffts es ganz genau auf den Punkt in deiner fabelhaften Rezension. Außerdem hat mir das gemeinsame Lesen wieder unglaublich viel Spaß gemacht! Ich hoffe wir finden bald mal wieder ein geeignetes Buch 🙂

    „Die Schlange von Essex“ musst du unbedingt noch lesen – die war meiner Meinung nach sogar noch eine gute Schippe besser als „Melmoth“.

    Herzliche Grüße
    Bella

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    • Liebste Bella!
      Ebenso treffend fand ich auch deine Rezension dazu! Ich werd mir auf jeden Fall die Schlange zulegen, neugierig bin ich da ja wirklich drauf 😊

      Ich hoffe, dass wir bald wieder ein gemeinsames Buch finden! ❤️

      Liebste Grüße!
      Gabriela

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  2. Ahoi Gabriela,

    und wieder habe ich schlechter bewertet…
    Ich habe es schon bei Bella gesehen, dass ihr den Teil mit Hassan und Namenlos nicht mochtet – ich glaube, mir gefiel der von den Sünden mit am besten ^^ Ich fand eher Helens Vergehen angesichts der anderen nicht mehr so dramatisch und ihre Selbstkasteiung rechtfertigend.

    Und wie wir schon geschrieben haben, der Schreibstil. An sich beeindruckend aber er machte mir das Lesen auch sehr langatmig…

    Liebe Grüße, Ronja von oceanloveR
    zu meiner Rezension

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    • Huhu Ronja!
      Ja, das hab ich mir schon fast gedacht! Aber so unterschiedlich sind eben die Wahrnehmungen mitunter. Dass dir allerdings der letzte Teil am besten gefiel, ist auf jeden Fall erstaunlich 🙂

      Liebe Grüße!
      Gabriela

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