[ADVENTSKALENDER] SOCKE 7 oder Willkommen zurück im Märchenreich

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Hallo und herzlich willkommen!

Wie mir scheint, hast du heute das Adventskalendersöckchen Nummer 7 von Tintenhains Adventskalender geöffnet! Gestern gab es ein Söckchen bei der lieben Appledore und morgen geht es mit tillyjonesbloggt weiter!

So, dann komm nur herein, tritt dir den Schnee und den Schmutz von den Füßen und such dir ein gemütliches Plätzchen. Ich möchte dir heute ein Märchen erzählen, eines, dass von tragischem Unglück erzählt, aber auch von der Liebe und der Zuversicht, dass am Ende alles gut werden wird.

Es war einmal …

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Es war einmal in einem fernen Land in einer längst vergangenen Zeit. Da lebte ein König in einem prächtigen Schloss, zusammen mit seinen zwölf Töchtern. Eine jede war lieblicher als die andere, und es war ein Genuss, sie auch nur anzuschauen. Doch der König schien von Tag zu Tag betrübter. Denn die Mädchen wurden älter und noch immer ward keine von ihnen mit einem ebenbürtigen Manne verbunden. Auch schien ihnen alle Lust am Leben zu vergehen, denn die Prinzessinnen waren des Tages kaum mehr ansprechbar. Jede von ihnen, bis auf die Jüngste, hatte tief eingesunkene Augen, blasse Wangen und spröde Lippen bekommen. Nur wenn die Sonne unterging und der Abend nahte, wenn die Zeit ins Bett zu gehen endlich heran war, kam Leben in die Prinzessinnen. Da gab es fröhliches Kichern und perlendes Gelächter, da wurden die Mädchen mit einem Male aufgeweckt. Sie zogen sich zusammen zurück, eilig, noch bevor der Mond am Himmel erschien. Dann wurden die Türen zu ihren Gemächern verschlossen und Stille breitete sich im ganzen Schloss aus.
Dem König wäre all das recht gewesen, wäre da nicht die Tatsache, dass die Schuhe der Töchter allesamt am nächsten Tage auf geheimnisvolle Weise löchrig und zertreten neben dem Bette stünden. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Wie konnte es angehen, dass sie das Schlafgemach nicht verlassen hatten und dennoch scheinbar die ganze Nacht unterwegs waren? Auf Fragen reagierten die Mädchen ungeniert, sie schliefen, natürlich!, was sollten sie auch sonst tun? Vielleicht zernagten Mäuse die kostbaren Schuhe, mutmaßte die Jüngste und blickte dabei gar unschuldig drein. Der König jedoch wollte dahinter kommen und so ersann er einen Plan. Er ließ in den umliegenden Königsländern verlauten, dass derjenige Hochwohlgeborene, der hinter das Rätsel seiner zwölf Töchter käme, sich eine zur Frau nehmen dürfte.
Doch ach – nur ein einziger Prinz erschien daraufhin, der sich an dem Geheimnis der Prinzessinnen versuchen wollt. Denn der König hatte in seinem eigenen Gram vergessen, dass rings um ihn ein unerbittlicher Krieg tobte, der bereits vielen Königshäusern die Söhne entrissen hatte. So kam es, dass der junge Prinz den Mädchen vorgestellt wurde, mit ihnen gemeinsam aß und trank, bevor sich alle zur Ruh‘ begeben sollten. Als der Prinz eine der Schwestern fragte, warum sie denn noch nicht vermählt sei, antwortete diese geheimnisvoll: „Vermählt bin ich nicht, aber meinen Prinzen habe ich schon lang gefunden. Ich sehe ihn jede Nacht.“ Ein versonnenes Lächeln umspielte dabei ihre blassen Lippen. Das ließ den Prinzen aufhorchen und er schwor sich, nicht einzuschlafen, bevor er nicht gesehen hatte, wohin die Schwestern des Nachts verschwanden. Doch die Augen wurden ihm schwer, kaum, dass er allein gelassen wurde und schon bald fiel er in einen tiefen und traumlosen Schlaf. Am andern Morgen, als er dem König von seinem nächtlichen Versagen erzählte, war dieser fürchterlich erbost. Er drohte dem fremden Königssohn, dass er ihm noch zwei Nächte Zeit geben würde, aber wenn er erneut scheitere, würde ihn das sein Leben kosten.
In der nächsten Nacht geschah dasselbe wie Tags zuvor, es wurde zusammen getrunken und gegessen, und als es zur Nachtruhe ging, da wurden dem Prinzen die Augen so schwer, dass er sie nicht mehr offen halten konnte und die ganze Nacht durchschlief. Am nächsten Morgen waren die Schuhe der Prinzessinnen zerschunden und der König noch erboster. All seine Hoffnungen hatte er in den Jüngling gesetzt, doch dieser war auch in der dritten Nacht nicht imstande sich dem Schlaf zu entziehen. So rief der König am Morgen des vierten Tages einen seiner Soldaten zu sich und hieß ihn, dem Fremden den Kopf abzuschlagen. Den Prinzessinnen war das einerlei, nur die Jüngste klagte still ihr Leid dem göttlichen Ohr. Sie hatte sich in den armen Prinzen verliebt, und wenn sie gekonnt hätte, sie hätte ihm das Geheimnis verraten. Doch ihre Lippen waren versiegelt, sobald sie zu einer Erklärung ansetzte und so ließ sie es geschehen und grämte sich sehr.

Der Soldat jedoch, der einen wachen Geist besaß, machte sich seine eigenen Gedanken um die Prinzessinnen. Wenn er eine von ihnen zur Frau bekäme, so hätte er sein Lebtag ausgesorgt, würde einst König werden und das Land nach seinen Wünschen regieren. So bot er dem König an, selbst über die Prinzessinnen zu wachen und herauszufinden, wohin sie gingen des Nachts und was sie trieben. Der Mangel an Prinzen ließ dem König keine andere Wahl, er stimmte zu, auch wenn er den Soldaten ungern erfolgreich sehen mochte. So sehr er hinter das Geheimnis seiner Töchter gelangen wollte, so sehr misstraute er dem ungeschlachten Manne. Erst kürzlich aus dem Krieg zurückgekehrt, hatte er viele Seelen auf dem Gewissen und einen grausamen Zug um den Mundwinkel. Und doch ward er nun in feine Gewänder gesteckt, aß und trank gemeinsam mit den Mädchen und schickte sich an, in einem königlichen Bette zu schlafen. Was keiner ahnte, war die List, die der Soldat ersonnen hatte. Statt den Wein zu trinken, den man ihm anbot, ließ er ihn unauffällig in seinen dichten Bart laufen. Die bleierne Müdigkeit, die den Prinzen das Leben kostete, konnte ihn nun nicht mehr befallen. Als die Prinzessinnen sich zur Nacht verabschiedeten, legte er sich ebenfalls hin, schloss die Augen und gab schon bald ein lautes Schnarchen von sich. Die Älteste der Mädchen stand lauschend an der Tür, die die beiden Gemächer trennte und drehte sich lachend zu ihren Schwestern um. „Er ist eingeschlafen, der dumme Tor. Macht euch bereit, wir können bald gehen.“ So holten sie die feinsten Kleider aus ihren Schränken, schmückten sich mit Glanz und Glitter und zogen sich die neuen Schuhe an, die bereits unter ihren Betten standen. Nur die Jüngste, die um den Prinzen trauerte, wollte nicht mit. „Geht ihr nur, ich möchte allein bleiben“, sagte sie flüsternd und verbarg ihr Gesicht in ihrem Kissen. Die Schwestern sahen sich kurz an, versuchten sie halbherzig doch noch zu überzeugen und ließen es dabei bewenden. Dann nahm die Älteste einen goldenen Stab, den sie zwischen Schrank und Wand versteckt hielt, und klopfte damit drei Mal neben ihrem Bett auf eine Diele. Sogleich verschob sich das Bett und gab den Blick auf einen finsteren Tunnel frei. Ohne Furcht schritten die Schwestern die schmalen Stufen hinab und verschwanden in der Dunkelheit. Da öffnete sich die Trenntür und der Soldat trat herein. Er hatte seinen tiefen Schlaf nur vorgetäuscht und stattdessen an der Tür gelauscht. Als er sicher war, dass alle gegangen waren, öffnete er die Tür, und fand die Treppe neben dem Bett vor.

Ohne sich weiter umzusehen, betrat er den Schacht und schlich den Prinzessinnen hinterher. Doch die zurück gebliebene Schwester hatte ihn gesehen. Voller Furcht wusste sie sich keinen anderen Rat, als nun doch ebenfalls den Weg hinunterzugehen. Sie schlich auf Zehenspitzen nach unten und sah gerade noch, wie der Soldat einige Schritte vor ihr um eine Biegung verschwand. Der Gang war so prachtvoll wie eh und je, an seinen Wänden wuchs goldenes, silbernes und smaragdfarbenes Geäst, über und über mit glitzernden Blättern behangen. Sie klingelten leise, wenn man an ihnen vorbei ging. Einmal blieb die Prinzessin an einem Zweiglein hängen, und das Klingeln der Blätter ließ sie zusammenzucken. Schon erwartete sie den Soldaten zu sehen, wie er zurück kam und sie entdeckte. Doch der war von der Pracht um ihn herum so abgelenkt, dass er nichts bemerkte. Bald kamen sie an einen unterirdischen See, auf dem viele kleine Boote schwammen. Darin saßen die Prinzessinnen und unterhielten sich lachend mit elf jungen Prinzen, einer von schönerer Statur als der andere. Doch als der Soldat näher hinsah, erkannte er plötzlich die durchdringende Transparenz, die von den Prinzen und nun auch von den Prinzessinnen ausging. Sie verloren ihre Farben, wurden durchscheinender. Er rieb sich die Augen, doch die geisterhaften Wesen trieben immer weiter in Richtung eines unterirdischen Schlosses davon. Nur ein Boot lag noch am Strand und darin erkannte der Soldat – und die letzte der Schwestern gleichermaßen – den jungen Prinzen, der erst wenige Stunden zuvor sein Leben durch das Schwert des Soldaten verlor. Da wusste dieser, was er vor sich sah. Die Prinzen, mit denen die Mädchen über den schwarzen See zogen, waren Gefallene im Krieg, ein jeder von ihnen. Und sie waren durch seine Hand, durch sein Schwert, gestorben. Das alles begriff er in den wenigen Augenblicken, als er das Mädchen hinter sich bemerkte, die einen Freudenschrei ausstieß, als sie ihren Prinzen erkannte. Sie sprang an dem Soldaten vorbei und wollte schon in die geöffneten Arme des jungen Mannes springen, als der Soldat sie grob beiseite stieß.
„Geisterwesen! Ihr seid nicht echt!“, schrie er und zog sein Schwert, das er vorsorglich niemals ablegte. „Ich habe euch getötet und nun habe ich euer Geheimnis herausgefunden. Die Prinzessin gehört mir!“ Damit packte er sie grob am Handgelenk und wollte sich mit ihr zurück zu dem Tunnel begeben, als der geisterhafte Jüngling sich ihm entgegen stellte. In einer fließenden Bewegung entwendete er dem Soldaten das eigene Schwert und stach es ihm direkt ins Herz. Sogleich wich sämtliches Blut aus seinem Gesicht, sein Atem ging stockend und er brach vor den schreckgeweiteten Augen der Prinzessin zusammen. Doch im gleichen Atemzuge bekam der junge Prinz neben ihr seine Gesichtsfarbe zurück, die Transzendenz löste sich auf und er ward wieder ganz er selbst, lebendig und wohlauf. Da jauchzte die Prinzessin vor Freude auf und sprang ihm endlich in die Arme. Nach diesem köstlichen Augenblick jedoch erinnerte sie sich an ihre Schwestern und die Prinzen auf dem See. Doch deren Ableben war schon so viele Monde her, dass sie durch den Tod des Soldaten nicht wieder zu den Lebenden zurückkehrten. Einer nach dem anderen verblasste immer mehr, verwandelte sich zu Rauch und verschwand. Auch die Prinzessinnen, die ihren Lebenssaft den Prinzen geopfert hatten, vergingen in den Booten, wurden durchscheinend und lösten sich schließlich auf. Nun standen der Prinz und die Prinzessin einsam am unterirdischen Seeufer und hielten sich an den Händen. „Das wollte ich nicht“, brachte der junge Mann bebend hervor, doch die jüngste der Schwestern drückte nur seine Hand. „Vielleicht ist es besser so. Nun können sie wirklich beisammen sein“, flüsterte sie nach einer Weile und betrachtete den See, der mit abertausenden Glitzerstäubchen bedeckt schien.

Der König war natürlich sehr unglücklich über den Verlust seiner elf Töchter, doch verstand er, dass am Ende nur ihr Glück zählte. Jeden Abend klopfte er mit dem goldenen Stab auf die Diele neben dem Bett seiner ältesten Tochter, schritt den Gang entlang und besuchte die Geister der Verlorenen im unterirdischen Schlosse. Der Prinz und der Prinzessin jedoch wurden glücklich vermählt, und als der König schließlich starb, herrschten sie gemeinsam über das Land, das sich langsam vom vergangenen Krieg erholte. Und wenn sie nicht gestorben sind …

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… dann leben sie noch heute. Ich hoffe, dir hat meine Version des Märchens der zertanzten Schuhe gefallen und ich konnte dich ein paar Minuten mit hinab in das verborgene Schloss entführen. Genieß die Vorweihnachtszeit!

 

16 Comments on “[ADVENTSKALENDER] SOCKE 7 oder Willkommen zurück im Märchenreich

  1. Ein schönes Märchen hast du dir da ausgedacht, liebe Gabriela ❤ Als Kind habe ich das Märchen von den zertanzten Schuhen innig geliebt, und ich finde es klasse, was du daraus gemacht hast. 🙂

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  2. Liebe Gabriela,
    das ist eine schöne Abwandlung! Märchenadaptionen als Buch lese ich nicht so gerne. Aber eine kleine Adventsgeschichte finde ich toll, insbesondere, da du sie extra für diesen Kalender geschrieben hast! 🙂

    Ich hatte gerade eine entspannte Mittagspause mit deiner Geschichte. Danke dafür! 😀
    GlG, moner

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    • Na da bin ich aber froh, dass dir mein Märchen so gut gefallen hat! 🙂 ♥ Dann hoffe ch, dass auich der rewstliche Arbeitstag recht entspannt bleibt 🙂

      Hab eine schöne Vorweihanchtszeit, liebe monerl!

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