[Rezension] William Golding – Herr der Fliegen

Es braucht nicht viel, um aus Kindern unzivilisierte Wilde zu machen.

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Werbung | Autor: William Golding | Titel: Herr der Fliegen

Erstausgabe: 1954 | Verlag: Fischer Klassik | Genre: Klassiker

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„Ich habe die Muschel!“

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Inhalt

Ein unbekannter Krieg, ein plötzlicher Flugzeugabsturz, eine unbewohnte, tropische Insel. Wundersamerweise überleben nur die Kinder, die in diesem Flugzeug von jenem Krieg evakuiert werden sollten. Ein Experiment der menschlichen Psyche beginnt.

Rezension

Kinder sind der Inbegriff der Unschuld, so sagt man. Das Gute steckt in jedem von uns, und das Kind ist der Träger dessen, bis es erwachsen wird und vergisst. William Golding geht dieser Annahme Anfang der 50er Jahre in einem interessanten Gedankenexperiment nach. Was wird aus Kindern, wenn sie sich selbst überlassen werden, fernab jeglicher bekannter Zivilisation?

Nachdem sich die wenigen Kinder auf der Insel zusammengefunden haben, stecken die altbekannten Richtlinien der Erwachsenenwelt noch tief in ihnen. Sie suchen einen Anführer und finden ihn in Ralph, einem Jungen, der sowohl Souveränität als auch Ruhe ausstrahlt. Doch von Beginn an steht ihm Jack gegenüber, der Rothaarige, der ein gewisses Maß an Gewaltbereitschaft ausstrahlt. Er und seine ehemaligen Chormitglieder werden zu Jägern auserkoren, der Rest der Kinder bekommt Aufgaben zugeteilt wie Hüttenbau und Feuer. Feuer ist sowieso das wichtigste, denn ohne Feuer kein Rauch, und ohne Rauch keine Rettung. Immer und immer wieder erinnert Ralph die Anderen daran, doch je länger sie auf der Insel bleiben müssen, umso mehr wird dieses Wissen in den Hintergrund gedrängt. Spiel und Vergnügen sind schneller zu haben als langfristiges Planen und Regeln befolgen. Ralph und Piggy, ein dicklicher Junge mit Brille, der schon zu Schulzeiten immer für den Spott der anderen herhalten musste, sind nahezu die einzigen, die an der Dringlichkeit der Rettung noch festhalten.

Während Jack in seiner Aufgabe der Jagd mehr und mehr aufgeht, verrohen er und seine Jäger zusehends. War es anfangs noch undenkbar, in das weiche, lebende Fleisch eines wilden Schweines mit einem selbstgebastelten Speer zu bohren, scheint nach nur wenigen Tagen oder Wochen bereits alles möglich. Der Leser verfolgt, wie das Wilde sich aus den Kindern immer mehr Bahn bricht, zu Tage tritt und sie die anerzogenen Regeln als leere Hülle zurücklassen.

Das Buch mag sich an mancher Stelle etwas ziehen und der Ausspruch „Ich habe die Muschel!“, auf den meistens nur mit höhnischem Gelächter geantwortet wird, ließ mich zunehmend mit den Augen rollen. Doch diese Muschel, die am Anfang alle zusammen rief und die den Respekt der anderen Kinder beanspruchte, ist eines der letzten Symbole der zivilisierten Welt auf dieser tropischen Insel, irgendwo im Meer. Als auch noch von einem Monster die Rede ist, das die Kinder in der Nacht überfallen wird, dreht sich die Spirale der Gewalt, die die Kinder selbst entfesselt haben, immer schneller auf ihren infernalen Höhepunkt zu. Außenseiter und jene, die auch in der zivilen Bevölkerung kaum eine Chance zum (über-)leben hatten, haben es auf dieser Insel, dem Reich des Herrn der Fliegen, ganz besonders schwer. Denn hier zählt nur noch das Gesetz des Stärkeren.

Es ist eine erschreckende Entwicklung, die die Kinder hier in kürzester Zeit durchmachen, vom verhätschelten Chorknaben zum Wilden ohne Moralvorstellung. Und doch ist es nicht gänzlich undenkbar. Vielleicht wäre es anders verlaufen, wenn es nicht nur Jungen gewesen wären, die in diesem Flugzeug saßen und abstürzten, vielleicht wäre die Entwicklung freundschaftlicher verlaufen, wenn ein paar Mädchen zur Harmonie zwischen den Kindern beigetragen hätten. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.

Fazit

Ein großartiger Gedankengang, den William Golding im Herrn der Fliegen ausgearbeitet hat. Ein Experiment, dass die Gewaltbereitschaft der menschlichen Natur zeigt. Gut geschrieben, in einer einfachen, intensiven Sprache.

Bewertung im Detail

Idee ★★★★★ ( 5 / 5 )

Handlung ★★★★☆ ( 4 / 5 )

Charaktere ★★★★☆ ( 4 / 5 )

Sprache ★★★★☆ ( 4 / 5 )

Emotionen ★★★★☆ ( 4 / 5 )

= 4.2 ★★★★

Erinnert an:

Daniel Defoe – Robinson Crusoe

schnörkel

16 Comments on “[Rezension] William Golding – Herr der Fliegen

  1. Guten Morgen aller liebste Gabriela ❤ eine wirklich tolle Rezension, die mein Interesse zu diesem Buch sehr geweckt hat. Man spielt ja oft das Szenario durch "Was nimmst du mit auf eine einsame Insel" aber nie macht man sich wirklich Gedanken darüber, wie man sich wohl auf der Insel verändern würde und welch eine Rolle Gewalt wohl spielen würde! Danke fürs vorstellen, dieses Buches!
    Hab ein wunderbares Wochenende ❤

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    • Liebste Elizzy! ❤️
      Stimmt, diesen Vergleich habe ich noch gar nicht gezogen. Man nimmt dann ja eher kleine Annehmlichkeiten mit, anstatt sich um das Überleben zu kümmern. Vermutlich würde sich bei uns allen irgendwann etwas von dieser Gewaltbereitschaft breit machen, wenn wir ganz auf uns gestellt wären um zu überleben. 🤔

      Genieß dein Wochenende! ❤️

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  2. Liebe Gabriela, wieder einmal eine sehr schöne Besprechung. Allerdings glaube ich auch, dass Golding sein Experiment nicht nur auf Kinder bezogen hat, sondern auf eine allgemeine Gemeinschaft. Interessant dabei ist, dass nur Jungs auf der Insel stranden … LG, Bri

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    • Dankeschön liebe Bri! 🙂
      Das denke ich auch, abd
      Er das Beispiel an Kindern zu zeigen, hat doch noch einmal eine andere Wirkung finde ich. Was traut man denn einem Kind an Gewaltbereitschaft zu? Einem Erwachsenen traue ich sehr viel schneller schlimmes zu.

      Liebste Grüße!
      Gabriela

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      • Hmm, naja, das hat bei Kindern oft eine Eigendynamik. Aber Du hast schon recht. Bei dem Setting da denkt man sich eher, die wind verängstigt und erst mal nicht so gewalttätig – auf jeden Fall ein großartiges Buch. Kennst Du den Felsen des zweiten Todes von Golding? Auch sehr zu empfehlen. Aber gruselig. LG und ein schönes Wochenende, Bri

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  3. Liebe Gabriela,
    das Buch wollte ich schon Ewigkeiten mal lesen. Es passt sehr gut zur Klassiker-Challenge, doch ich habe es aus den Augen verloren. Super, dass du mich mit deiner Rezi daran erinnert hast! 🙂
    Sehr schön hast du es zusammengefasst. Schon erschreckend, wie schnell Menschen ihre „gute Erziehung“ verlieren und rau werden. Die Gesetzte der Natur aus der Jäger-und-Sammlerzeit, leben, überleben oder sterben und der stärkere gewinnt, werden wir wohl nie aus uns rauskriegen.
    Hab ein schönes Wochenende,
    glG vom monerl

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  4. Hallo erstmal 🙂

    Also ich bin echt angefixt durch deine Rezension, da mich die Thematik auch interessiert und Robinson Cruseo in meiner Jugendzeit ( das klingt so weit weg :-D) zu meinen Lieblingsbüchern gehörte. Beim nächsten Besuch im örtlichen Buchhandel wird dieses Buch bestellt. 😊

    LG Xaos

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  5. Pingback: Rückblick auf den Juli – Buchperlenblog

  6. Als ich dieses Buch gelesen habe, dachte ich mir auch öfter mal „wow“.
    An vielen Stellen spürt man einfach nur die hilflose Ohnmacht, mit der Ralph Jack und seiner Truppe gegenübersteht.
    Nur das Cover der neuen Ausgabe gefällt mir nicht wirklich. (Aber dafür kann natürlich der Autor nichts)

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  7. G’day, Gabriela.
    Mir ist Goldings wohl bekanntester Roman gut als Schullektüre in Erinnerung. Ein Buch über die mehr als hauchdünne Firnis der Zivilisation. Eindrücklich bleibt auch der Werdegang der Hauptfiguren, die den ewigen Konflikt zwischen Ordnung & Chaos nachzeichnen.
    Es wird wohl nicht wirklich erwähnt, aber die Jungs scheinen einem Militär-Internat anzugehören; zumindest war dies damals mein Eindruck bei der Erarbeitung des Buches.

    Ob die Anwesenheit von Mädchen auf der Insel viel hätte anders verlaufen lassen? Möglicherweise hätte ihr Einfluss die Entwicklung verzögert. Wahrscheinlich hätte sich der archaische Konflikt auch auf sie (als Opfer dessen) ausgewirkt. Jack würde nicht gezögert haben, auch „hier“ Ansprüche anzumelden.
    Die Macho-Schiene eben.

    bonté

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    • Guten Morgen!
      Oh, wirklich! Ein Militär-Internat? Das hätte ich so gar nicht auf dem Schirm gehabt, vermutlich schon des ursprünglichen Chores wegen. Aber das würde auch erklären, weshalb es wirklich nur Jungen sind, die sich im Flugzeug befanden. Gute Idee!

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